Sinn und Sound

Bob Dylan hat beim Nobelpreis-Komitee seine Nobelpreis-Vorlesung eingereicht: Es handelt sich um ein erzählerisches Radio-Feature mit Klavierbegleitung.

Ueli Bernays
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Der singende Literaturnobelpreisträger Bob Dylan. (Bild: Reuters)

Der singende Literaturnobelpreisträger Bob Dylan. (Bild: Reuters)

Als frischgebackener Literaturnobelpreisträger hielt sich Bob Dylan lange und vornehm zurück. Später liess er sich höflich vertreten. An den Feierlichkeiten zur Verleihung des Preises im Dezember letzten Jahres in Stockholm durfte Patti Smith für ihn seinen Song «A Hard Rain’s A-Gonna Fall» singen. Und die US-Botschafterin Azita Raj verlas seine Dankesrede: Ob es sich bei seinen Songs um Literatur handle, liess er verlauten, habe er sich nie gefragt. Er sei umso glücklicher, als die Jury diese Frage für ihn günstig entschieden habe. Songs seien aber nicht zu lesen wie Romane, sondern – ähnlich Shakespearschen Dramen – zu hören.

Ist es nicht folgerichtig, wenn Dylan seine Nobelpreis-Vorlesung – die letzte, unabdingbare Voraussetzung für die Auszahlung der Preissumme von acht Millionen Kronen (892 000 Franken) – nun als akustisches Dokument eingereicht hat? Dylan redet eine knappe halbe Stunde über seine musikalischen und literarischen Einflüsse. Dabei wird sogleich hörbar, dass die «Vorlesung» nicht für akademische Sphären gedacht ist. Vielmehr erinnert die Inszenierung an Hörspiele und Radio-Features – an Dylans «Theme Time Radio» zumal.

Stimme mit Piano

Des Barden brüchige Stimme wird zum Zeugnis eines kundigen, erfahrenen Erzählens. Es scheint auf Understatement geeicht zu sein, steigert sich mitunter dann aber doch in eine rhapsodische Musikalität: Die Worte fügen sich in rhythmischen Perioden und gestaffelten Assonanzen. Als wäre der Sonorität damit nicht schon Genüge getan, wird das Sprechen von luftig-balladeskem Piano-Jazz untermalt – diskret und auch leicht ironisch.

So ist denn zu erfahren, wie Dylans künstlerische Leidenschaft entflammte. In der schieren Präsenz eines Buddy Hollys erlebte er Musik einst als poetische Einheit von Künstler und Kunst, von Sinn und Sound. Die Erleuchtung erfuhr er aber durch ein Album der Country-Blues-Legende Leadbelly. Nun tauchte er selber ein in die Traditionen von Blues und Folk, er sang die Lieder nach und lernte so nicht nur die Melodien kennen, sondern auch die Dialekte und Helden der Populärkultur – samt prominenten Mördern wie Staggolee.

Dylans ästhetische Folk-Schulbildung wurde in der Grammar School ergänzt durch kanonisierte Literatur wie «Don Quijote», «Gullivers Reisen» und «Robinson Crusoe». Drei Werke der Weltliteratur hätten ihn später besonders beeinflusst: Herman Melvilles «Moby Dick», «Im Westen nichts Neues» von Erich Maria Remarque – und Homers «Odyssee», die bereits früher Eingang gefunden habe in Folk-Balladen wie «Green, Green Grass of Home» oder «Home on the Range».

Im Falle von Melvilles «Moby Dick» lässt es Dylan zwar nicht an einigen poetologischen Bemerkungen fehlen: Er liebe hier die Mehrstimmigkeit, den biblischen Tonfall, die heidnischen Namen sowie die stoffliche Vielfalt von griechischen, indischen, christlichen Mythen einerseits und Schilderungen der Walfangtechnik andrerseits.

Aneignung und Autorschaft

Dass solche Mixturen auf Dylans Songwriting abgefärbt haben – es ist nichts Neues. Dem Sänger aber liegt wenig daran, die Spurensuche im eigenen Werk weiter zu vertiefen. Wenn er Remarque lobt, der die Augen öffne für Drama und Tod, wenn er für Homers Odysseus schwärmt, scheint er ähnlich mitgerissen wie einst als junger Folk-Fan: Sein emphatisches Nacherzählen lebt so sehr vom Timbre und Tonfall seiner Stimme, als reklamiere er mit der Aneignung gleich die Autorschaft.

Für Bob Dylan geht es auch eben um den Sound – die Bedeutung scheint sekundär: «If a song moves you, that’s all that’s important. I don’t have to know what a song means.»

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