Ein Chinese in New York

Mit der Glaspyramide des Louvre in Paris und dem Bank of China Tower in Hongkong verwirklichte Ieoh Ming Pei Ikonen der spätmodernen Architektur. Heute kann er seinen 100. Geburtstag feiern.

Jürgen Tietz
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Ein Meilenstein der Moderne, millionenfach fotografiert und gepostet: I. M. Peis Glaspyramide für den Louvre. (Bild: Kamil Zihnioglu / AP)

Ein Meilenstein der Moderne, millionenfach fotografiert und gepostet: I. M. Peis Glaspyramide für den Louvre. (Bild: Kamil Zihnioglu / AP)

Er ist nicht nur einer der weltweit erfolgreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Ieoh Ming Pei, der heute seinen 100. Geburtstag feiern kann, ist eine Legende. Als er am 26. April 1917 im chinesischen Guangzhou geboren wurde, lag die Abdankung des letzten Kaisers im Reich der Mitte erst fünf Jahre zurück; und der Baubeginn des Eiffelturms in Paris jährte sich zum dreissigsten Mal. Niemand konnte damals ahnen, welche Bedeutung die Stadt an der Seine für Pei erlangen sollte – und umgekehrt. So wie der Bau des eisernen Kolosses durch Gustav Eiffel zunächst für einen Aufschrei sorgte, so lauthals ereiferten sich die Gralshüter der Pariser Architektur, als Pei im Auftrag des französischen Präsidenten François Mitterrand sein siegreiches Wettbewerbsprojekt für den Pariser Louvre vorstellte. All dieses Wehgeschrei ist längst verrauscht, und Peis täglich tausendfach gepostete Glaspyramide zählt genauso wie der Eiffelturm zu den Meilensteinen der Moderne an der Seine.

Als Pei 1983, im Jahr, als er den Pritzkerpreis erhielt, mit dem Umbau des Louvre begann, war er bereits ein erfahrener Museumsarchitekt. Mit seinem ikonischen East Building der National Gallery of Arts in Washington (1978), das sich in Sichtweite des Kapitols an der Pennsylvania Avenue erhebt, hatte er sich einen festen Platz in der obersten Liga der internationalen Architekturwelt gesichert. Alles, was seine künstlerische Handschrift ausmacht, war in Washington bereits zu erkennen: die zum Monumentalen neigende Verwendung geometrischer Grundformen ebenso wie seine bewundernswerte Fähigkeit, Räume mit perfekt harmonierenden Proportionen zu gestalten.

Von China nach Amerika

Mit gerade einmal 17 Jahren war Pei aus China in die USA gekommen. Dort nahm er 1935 sein Architekturstudium auf. Es waren jene Jahre, in denen sich Amerika unter dem Einfluss europäischer Emigranten wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer der Moderne öffnete. Es gelang Pei, der in seinem letzten Studienjahr bei Gropius ein Museum für China entwarf, eine Sonderstellung unter den Vertretern der zweiten Generation der Moderne zu erringen. Denn seine Architektur gründet nicht nur auf der Auseinandersetzung mit den Bauhaus-Kuben. Er rezipierte auch Le Corbusiers Betonarchitektur und verband dies mit Einflüssen der regionalen chinesischen Baukunst, wobei für ihn immer auch die Gärten des Reichs der Mitte eine Rolle spielten.

Obwohl Pei bis heute als Schöpfer von High-End-Museen umjubelt wird, stammen von ihm auch kommerzielle Bauten, die vielleicht nie einen Platz in den Architekturgeschichtsbüchern finden werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Pei auf Empfehlung von Philip Johnson zunächst in der New Yorker Architekturfirma Webb & Knapp, was ihn für den Immobilienmarkt fit machte, ehe er 1955 sein eigenes Büro gründete, das heute unter dem Namen Pei Cobb Freed & Partners firmiert.

Der vor hundert Jahren in China geborene und in den USA tätige Ieoh Ming Pei leitet seine Architektur von geometrischen Formen ab. Die so entstandenen Bauten bleiben einem wegen ihrer Einfachheit und Klarheit in Erinnerung. – Das meistfotografierte Werk von I. M. Pei ist die 1989 vollendete Pyramide du Louvre, die den Eingang zum unterirdischen Foyer des Pariser Museums bildet. (Bild: Imago)
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Altmeister Ieoh Ming Pei vor einem Jahr in New York. (Bild: Joseph Sullivan / Imago)
Der minimalistische Monolith des 1976 nach Plänen von I.M. Pei vollendeten John Hancock Tower, der in die Schlagzeilen geriet, weil seine Glasfassade anfangs Probleme machte, ist noch heute das höchste Haus von Boston. (Bild: Robert E. Klein / AP)
Grundriss und Fassadenbild des Bank of China Tower in Hongkong sind aus Quadraten und Dreiecken komponiert und machen das Hochhaus, das bei seiner Vollendung 1990 das höchste in Asien war, zu einem der eigenwilligsten Bankgebäuden weltweit. (Bild: Imago)
Die Eingangsfassade des 2003 eröffneten Deutschen Historischen Museums in Berlin wird von einer zeichenhaften gläsernen Spirale dominiert. (Bild: Imago)
Die bei dem im Mai 2003 eingeweihten Erweiterungsbau des Deutschen Historischen Museums in Berlin verwendeten primären geometrischen Formen erinnern an Louis Kahns Regierungsbauten in Dacca. (Bild: Manfred Brueckels / CC)
Das pyramidenförmige Museum für islamische Kunst, das Ieoh Ming Pei 2008 in der halbmondförmigen Bucht vor Katars Hauptstadt Dauha errichtete, ist eine moderne Antwort auf das berühmte Brunnengebäude der Ibn-Tulun-Moschee in Kairo.(Bild: Imago)
Einer archaischen Spätmoderne verpflichtet ist das 1961 vollendete National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder, Colorado, dessen geometrische Turmformen bald Architekturen der Pueblo-Indianer, bald Bauten von Louis Kahn gleichen. (Bild: Daderot / CC)
Grosse minimalistische Baukörper, die aus Dreiecken hergeleitet wurden, prägen das Erscheinungsbild des 1978 fertig gestellten Erweiterungsbaus der National Gallery of Art in Washington, Peis erstem Museumsgebäude von Weltrang. (Bild: Matthew G. Bisanz / CC)
Elemente, die sich Pei für die Erweiterung der National Gallery of Art ausgedacht hatte, entwickelte er bei der 1979 vollendeten John F Kennedy Library in Boston weiter. Zum Artikel. (Bild: Fcb981 / CC)

Der vor hundert Jahren in China geborene und in den USA tätige Ieoh Ming Pei leitet seine Architektur von geometrischen Formen ab. Die so entstandenen Bauten bleiben einem wegen ihrer Einfachheit und Klarheit in Erinnerung. – Das meistfotografierte Werk von I. M. Pei ist die 1989 vollendete Pyramide du Louvre, die den Eingang zum unterirdischen Foyer des Pariser Museums bildet. (Bild: Imago)

Nach Peis eigener Einschätzung bot sich ihm mit dem National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado, erstmals die Chance, über «Architektur als Kunst» nachzudenken. In Boulder erwies sich Pei als Meister der grossen und klaren Formen, die in ihrer Archaik an Arbeiten von Louis Kahn erinnern. Pei baute aber nicht nur Museen. Im Auftrag von Jackie Kennedy entwarf er auch die John F. Kennedy Presidential Library in Dorchester bei Boston, die jedoch einen langwierigen Planungsprozess durchlief, ehe sie 1979 endlich eröffnet werden konnte.

Archaische Moderne

Peis herausragende Fähigkeit liegt darin, skulpturale Solitäre zu schaffen, die über besondere Raum- und Detailqualitäten verfügen. Das gilt ganz besonders für seine Museen, die er weltweit – von Washington über Berlin und Luxemburg bis Doha – realisiert hat. In ihnen sieht Pei sein Anliegen, «öffentliche Orte zu schaffen», am unmittelbarsten verwirklicht. Zu diesen besonderen öffentlichen Orten gehört das Miho Museum in Shigaraki (1996) mit seinem dramatisch inszenierten Eingang, der über eine lange Brücke und einen Tunnel führt, oder das 2006 eröffnete Suzhou Museum in der Nähe von Schanghai. Mit ihm kehrte Pei in seine Heimat zurück und griff dabei jene Planung auf, die er ein halbes Jahrhundert zuvor in seiner Abschlussarbeit bei Gropius formuliert hatte. Das ganz in Weiss und Grau ausgeführte Museum in Suzhou, das sich um mehrere chinesische Gärten legt, übersetzt die regionale chinesische Architektur in eine abstrakte Formensprache.

Darüber hinaus hat der vielseitige Pei eine Reihe von zeichenhaften Hochhäusern entworfen, allen voran den auf einer einprägsamen Dreiecksgeometrie beruhenden Bank of China Tower in Hongkong. Beinahe hätte New York ein ähnlich einprägsames Hochhaus erhalten, doch Peis frühe Planung von 1956 für einen Hyperboloid-Turm anstelle der Grand Central Station zerschlug sich, obwohl der Turm mit seiner dynamischen Formensprache ganz dem Geist der Zeit entsprach. So hat der grosse I. M. Pei neben zahlreichen gebauten Meisterwerken auch einen Eintrag im grossen Buch der ungebauten Meisterwerke auf sicher – und Grand Central blieb erhalten.