Der Kriegspremier – geschüttelt und gerührt

Der australische Regisseur Jonathan Teplitzky pflegt in seinem Biopic über den früheren britischen Premierminister Winston Churchill einen geradezu frivolen Umgang mit der historischen Wahrheit.

Werner Vogt
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Der echte Churchill – hier im Bild – hätte sein filmisches Konterfei gewiss wenig geschätzt. (Bild: EPA)

Der echte Churchill – hier im Bild – hätte sein filmisches Konterfei gewiss wenig geschätzt. (Bild: EPA)

Ihrer Majestät bester Geheimagent 007 ist eine fiktive Figur, insofern ist es völlig in Ordnung, wenn die Handlung in den Bond-Filmen ist wie der Wodka-Martini: geschüttelt, nicht gerührt. Problematisch ist hingegen, wenn ein Film über einen Giganten der Zeitgeschichte Dichtung und Wahrheit gleichsam mit dem Shaker zu einem seltsamen pseudohistorischen Cocktail mixt.

Jonathan Teplitzkys Film «Churchill» beschreibt die zehn Tage rund um den D-Day, die alliierte Landung in der Normandie vom 6. Juni 1944. Es ist faktisch ein Studiofilm mit einem guten Dutzend wahrnehmbaren Schauspielern, gut ebenso vielen Nebendarstellern und kaum einem Statisten (London, das wenige, was man von der Hauptstadt sieht, ist eine Geisterstadt).

Bei den wenigen Szenen, die im Freien spielen, sieht man Churchill über menschenleere Strände schreiten oder über einsame Landstrassen fahren. So weit, so gut. Offensichtlich hatte der Regisseur nur knappste Geldmittel zur Verfügung, ganz im Gegensatz zu Steven Spielberg, der im D-Day-Epos «Saving Private Ryan» allein zwölf Millionen Dollar für die blutige Eröffnungsszene (Landung der amerikanischen Infanteristen auf Omaha Beach) ausgeben konnte.

Ein menschliches Wrack?

Teplitzkys Film versucht gar nicht erst, den gigantischen Aufmarsch von 1,5 Millionen Soldaten, Fliegertruppen und Matrosen, die Bereitstellung von 7000 Schiffen, 4000 Kampfflugzeugen, 4000 Bombern und 3000 Transportflugzeugen bildlich einzufangen. Sein «Churchill» ist ein Psychodrama rund um den britischen Kriegspremier und seine Rolle unmittelbar vor, während und unmittelbar nach der grössten amphibischen Landeoperation der Weltgeschichte.

Glaubte man dem Film, so hätte Churchill wenige Tage vor der geplanten alliierten Landung in der Normandie versucht, diese gigantische Militäroperation zu stoppen mit der Begründung, sie führe zum selben Debakel wie die alliierte Landung in Gallipoli (Dardanellen, 1915), die in einer Katastrophe geendet und Churchill zum Rücktritt als Marineminister gezwungen hatte. Im Weiteren wäre der Teplitzky-Churchill ein gebrechlicher alter Mann gewesen, zerfressen von Depressionen und Alkoholkonsum, ein unbeherrschter Tyrann gegenüber seiner Frau und dem engsten Mitarbeiterstab, egal ob Feldmarschall oder Sekretärin. Ja schlimmer noch, ein faktisch handlungsunfähiger Psycho.

Verantwortlich für diesen hanebüchenen Unsinn ist neben dem Regisseur die Drehbuchautorin Alex von Tunzelmann, die, so lesen wir nicht ohne Erstaunen auf ihrer Homepage, in Oxford Zeitgeschichte studierte. Nun hat niemand etwas gegen einen grosszügigen Umgang mit geschichtlichen Stoffen unter Cineasten. Aber irgendwo hat die dichterische Freiheit Grenzen.

Ärgerliche Patzer

Winston Churchill war hauptverantwortlich dafür, dass London dem Ansturm der Nazis 1940 standhielt. Daneben war er bekanntermassen ein Egomane, ein Mikromanager der schlimmeren Sorte (gegenüber seiner Generalität) und ja, er genoss generell viel bis zu viel Alkohol und hatte ein Problem mit Depressionen. Letzteres aber – und hier betreibt der Film üble Geschichtsklitterung – in Phasen von persönlichen Niederlagen und Karriereknicks.

Vor dem D-Day hatte Churchill ganz im Gegenteil Adrenalinschübe und wäre am liebsten auf einem Schiff mitgefahren vor die Küste Frankreichs, hier hat der Film ausnahmsweise recht. Ärgerlich sind aber auch vermeintliche Kleinigkeiten wie die Tatsache, dass der Oberkommandierende der Operation Overlord den britischen Premierminister mit «Hallo Churchill» begrüsst, und erst recht, dass er ihn in seiner Anwesenheit, wenngleich sotto voce als «arsehole» (vorsichtig übersetzt mit «Mistkerl») beschimpft. Nie hätte sich «Ike» derartig saloppe Töne oder eine solche Ungeheuerlichkeit erlaubt.

Wie sind die schauspielerischen Leistungen in «Churchill»? Drehbuchbedingt bieder im Fall von Churchill (Brian Cox) und seiner Frau Clementine (Miranda Richardson), unterdurchschnittlich im Fall von General Montgomery (Julian Wadham) und General Eisenhower (John Slattery), besser im Fall von General Smuts (Richard Durdan) und ein seltener Lichtblick im Fall der Sekretärin Helen Garrett (Ella Purnell).

Opfer für die Freiheit

Trotzdem ist «Churchill» sehenswert – damit wir Nachgeborenen, die wir in Freiheit aufwachsen durften, nie vergessen, dass Millionen von Soldaten für diese unsere Freiheit ihr Leben geopfert haben und dass Führungspersönlichkeiten wie Churchill durchaus schlaflose Nächte hatten beim Gedanken, dass in der ersten Angriffswelle in der Normandie 10 000 von insgesamt 170 000 Soldaten umkommen würden. So hoch war der alliierte Blutzoll am «längsten Tag» tatsächlich.

Kinos Arena, Corso in Zürich.