Blomi, komm bald wieder!

Mit dem Dirigenten Herbert Blomstedt war einer der grossen Beethoven-Interpreten unserer Zeit zu Gast beim Zürcher Tonhalle-Orchester. Seine Interpretationen der 7. und der 8. Sinfonie sind ein aussergewöhnliches Erlebnis.

Moritz Weber
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Herbert Blomstedt, hier mit Musikern des Gewandhausorchesters Leipzig, im Jahr 2001. (Bild: EPA / DPA / Wolfgang Kluge / kl-ms / Keystone)

Herbert Blomstedt, hier mit Musikern des Gewandhausorchesters Leipzig, im Jahr 2001. (Bild: EPA / DPA / Wolfgang Kluge / kl-ms / Keystone)

Wer Herbert Blomstedts Beethoven hört, kann sich fragen, warum es Dirigenten gibt, die an den Sinfonien dieses Wiener Klassikers scheitern. Denn in der Interpretation des in Luzern lebenden Schweden Blomstedt erscheint restlos alles an Beethovens Musik ganz klar und einleuchtend: Jeder Akzent ergibt Sinn, jede Phrase überzeugt, jeder Übergang ist schlüssig – kurz: Alles scheint so unglaublich einfach zu sein!

Wie nebenbei wird einem hier bewusst – um in den Worten des Pianisten Alfred Brendel zu sprechen –, wie überlegen doch Beethoven jeden Ton an seinen Platz stellte. Der Blick in die Partituren zeigt, dass der Komponist im Grunde alles notiert hat, was für das Verständnis seiner Musik nötig ist. Freilich bedarf es aber auch der Fähigkeit, Beethovens Zeichen zu lesen, seine Hinweise und seine Sprache zu verstehen, Zusammenhänge zu erkennen und das, was eben doch nicht in den Partituren steht, im Sinne der Komposition zu ergänzen.

Texttreue

Wie profund der Altmeister Herbert Blomstedt die Partituren studiert und durchdrungen hat, das zeigt sich in seinem Gastdirigat beim Tonhalle-Orchester Zürich. Er hält sich strikt an den Notentext und vermag dessen vollendete Organisation ohne Mätzchen den Musizierenden zu vermitteln. Auch für sie scheint die Interpretation aufzugehen, die Musik im Fluss zu sein. Sie folgen ihrem «Blomi», wie sie ihn offenbar liebevoll nennen, ohne Einschränkung, nicken und lächeln sich untereinander während des Spielens auffällig oft zu. Dieses Einvernehmen resultiert in einem wahren Hörgenuss für das Publikum.

Der zweite Satz von Beethovens 8. Sinfonie etwa ist mit «Allegretto scherzando» überschrieben. Über einem getupften Bläsergrund spielen die ersten Geigen das tändelnde Hauptthema. Um die scherzende Wirkung zu verstärken, lässt Beethoven die zweiten Geigen eine auf- und absteigende, leicht rhythmisierte Linie zupfen. Blomstedt nimmt sich dieser scheinbar belanglosen Nebenstimme an, lässt sie etwas deutlicher erklingen als mancher seiner Kollegen – und bringt damit den von Beethoven gewünschten humoristischen Effekt auf den Punkt. Ein Schmunzeln ist garantiert.

Die sogenannte «deutsche» Aufstellung des Orchesters, die Blomstedt bei seinen Dirigaten stets verlangt, unterstützt das Ganze: Die ersten Geigen sitzen links von ihm, die zweiten hingegen rechts, so wie es zu Beethovens Zeit und bis ins 20. Jahrhundert hinein üblich war. Dadurch entstehen Stereo-Effekte, die Beethoven bewusst einkalkuliert hat. Und im Verlauf dieses und der anderen Sätze wird klar, wie ausgiebig Beethoven mit diesem akustischen Phänomen spielte. Die Motive springen förmlich im Streicherregister hin und her, während sie bei der heute gängigeren «amerikanischen» Aufstellung, bei der die zweiten Geigen neben den ersten sitzen, aus derselben Raumecke kommen und dadurch mehr verschmelzen würden.

Dialoge

Überhaupt fordert und fördert Blomstedt diese und andere Arten des Dialogisierens innerhalb des Orchesters. Mit kleinen, aber expliziten Zeichen muntert er die Musiker auf, miteinander zu spielen, was sie mit Freude und kammermusikalischer Aufmerksamkeit tun. So bleibt keine Wendung belanglos, keine Nuance überhört, keine Überraschung ungestaltet. Es scheint des Hörens und Staunens kein Ende zu sein.

Auch in der 7. Sinfonie stützt sich Blomstedt auf die perfekte Architektur von Beethovens Musik. Er realisiert die dynamisch gestaffelten Steigerungen im Kopfsatz wie vorgeschrieben, lässt das unablässige daktylische Pochen den gesamten Trauerzug des zweiten Satzes zusammenhalten. Im Vivace-Finale mit seinen vielen Akzenten entfesselt er einen bald rustikalen, bald brillanten Reigen. Die Energie und die Lust, mit welcher Herbert Blomstedt das Orchester anfeuert und zur Höchstleistung anspornt, lassen vollends vergessen, dass da ein Dirigent am Pult steht, der im Juli dieses Jahres neunzig Jahre alt wird. Meisterhaft!

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