Rockbands in der Tradition der Beatles haben die Pop-Kultur lange geprägt. Im letzten Jahrzehnt haben Gruppen wie The Strokes und The Libertines den Ton angegeben. Heute aber sind Gitarrenbands Aussenseiter der Pop-Szene.
Es ist wie mit alten Freunden, deren Zuneigung man zu lange für selbstverständlich gehalten hat. Immer wieder kam dann etwas dazwischen. Es gab neuere, aufregendere Bekanntschaften. Eines Tages realisiert man, dass die alte Handy-Nummer nicht mehr geht, die alte Adresse nicht mehr stimmt. Und wenn man sich doch in der alten Kneipe, die unterdessen zum Veganer-Bistro mutiert ist, nochmals wiedersieht, hat man sich nichts zu sagen.
Gitarrenbands, die daherkommen wie eine Mischung aus Beatles und Byrds und als «the next big thing» angepriesen wurden, sie waren lange prägend im Pop. Wellenweise formierten sich neue musikalische Moden, aber die bleichen Buben – fast immer nämlich waren es Buben mit ungepflegt-gepflegten Fransen und übernatürlich engen Röhrlihosen –, sie spielten tapfer Gitarre, Bass, Schlagzeug.
Und heute? Die letzte Band, die sich in diesem Umfeld profilierte und weltweite Beachtung fand, war wohl Arctic Monkeys aus Sheffield. Zwölf Jahre sind vergangen, seit sich das Quartett mit dem trotzigen Swing seiner grandiosen Debüt-Single «I Bet You Look Good on the Dance Floor» Gehör verschaffte. Zwei Millionen Mal verkaufte sich ein Jahr später ihr erstes Album alleine in Grossbritannien und den USA. Auch in der Schweizer Hitparade erreichte es Rang 16. Die Band konsolidierte den Erfolg, indem sie sich weiterentwickelte. Was aber ist nach den Arctic Monkeys noch nachgekommen?
Längst ist die Rockszene in eine babylonische Vielfalt von Makro- und Mikrostilen zersplittert. Der Schrammelrock à la Beatles und Rolling Stones aber ist im Kern seinen Anfängen treu geblieben. Die Wurzeln reichten dabei weniger in den erotisch aufgeladenen Rock'n'Roll à la Elvis Presley als zu den knappen Liedern von Buddy Holly. Seinen ersten Hit, «That'll Be the Day», landete Holly mit seinen Crickets vor sechzig Jahren: zwei Minuten sechzehn Sekunden gebündelter poppiger Gitarren-Rock'n'Roll.
John Lennon und Paul McCartney waren so begeistert, dass sie ihre Band in Anlehnung an die Crickets (Grillen) Beatles nannten. Die Rolling Stones kamen aus einer bluesigeren Ecke, sie tönten ruppiger. Das Bedürfnis aber, Grooves mit Ohrwurm-Refrains zu kombinieren, teilten sie mit den Beatles.
Und wie die Beatles oder Stones spielten später auch ihre Nachfolger immer wieder Lieder mit klaren Strukturen. Velvet Underground fügte dem britischen Übermut und der Provokationslust einen Unterton von New Yorker Bedrohlichkeit hinzu. Die Byrds brachten psychedelische Country-Einflüsse ins Spiel. Seither hat die Rezeptur Generationen von Bands hervorgebracht: vom Punk über Power-Pop-Bands à la Joe Jackson oder Robyn Hitchcock bis zu The Smiths. In den USA veröffentlichten R.E.M. 1983 ihr Debüt-Album «Murmur» und arbeiteten sich geflissentlich nach oben, bis sie in den neunziger Jahren Stadien füllten.
Gleichzeitig stand in England Oasis auf dem Zenit der Britpop-Bewegung, die eine Reaktion war auf die Dominanz amerikanischer Grunge-Bands. Mit dem Debüt-Album der Strokes «Is This It» schwenkte das Pendel im Jahr 2001 zurück nach New York. Allerdings sorgten The Libertines wenig später schon für eine britische Antwort. Mit ihrem Erfolg zogen diese Bands jedes Mal eine Flotte von geistesverwandten Formationen nach – von Franz Ferdinand, Maximo Park bis zu den Arctic Monkeys.
Dann plötzlich erlahmte die Bewegung. Natürlich sind Gitarrenbands nicht verschwunden. Sie tragen heute Namen wie Parquet Courts, Public Access TV, Sauna Youth, Car Seat Headrest, Hooton Tennis Club oder Ultimate Painting. Aber wer kennt sie? Eingeschworene Musikkneipen-Gänger vielleicht oder die Nerds des Spartenradios. Was seit Jahren aber fehlt, ist eine Nachwuchsband, die den Spagat zwischen Liebhaberei und Massentauglichkeit überwinden könnte.
Es half der Musik wenig, wenn (insbesondere britische) Medien mit bemühender Verzweiflung alle paar Wochen eine Band als «die neuen Libertines» zu feiern versuchten, ohne dass die Kandidaten reif waren, um solchen Vorschusslorbeeren gerecht zu werden. Das Publikum lernte rasch, diese Pseudo-Hypes zu ignorieren. Die jungen Fans des Genres aber, denen sich die Musikgeschichte heute auf Internet-Plattformen wie Youtube als breites, zeitloses Spektrum präsentiert, sie greifen lieber auf die Originale zurück.
Im Unterschied zu Rockbands im klassischen Stil von Led Zeppelin und Black Sabbath, die seit je Purismus und Traditionalismus huldigen, müssen jedoch die poppigeren Indie-Bands im Sound oder im Image tatsächlich neu oder immerhin frisch wirken, um von einem jüngeren Publikum als Idole akzeptiert zu werden. In neueren Pop-Genres wie Hip-Hop und Grime, Techno und House ist das Gewicht der Tradition geringer; da fällt es leichter, den Sound einer Szene, einer Subkultur oder einer Generation zu entwickeln, der dann auch eine «Wir gegen alle»-Identität schafft.
Auch die Veränderungen im Musikbusiness haben den Gitarrenbands zugesetzt. Selbst in der Musikstadt London ist die Zahl der Musikkneipen und somit der Auftrittsmöglichkeiten arg zurückgegangen. Junge Pop-Musiker arbeiten nun allein zu Hause. Der Zugang zu billigen Musikinstrumenten und Musik-Software erleichtert das Einzelgängertum. Und statt sich im Übungsraum zu treffen, um den eigenen Stil bald vor kleinem Publikum zu erproben, tüfteln die jungen Genies lange an ihren elektronischen Klängen herum. Mitmusiker heuern sie allenfalls später an, um ihr fertiges Repertoire live vorzustellen. Die Musikproduktion ist so freilich billiger, als wenn man eine Band das ganze Jahr durch beisammenhalten und proben lassen muss.
Im Gegensatz zur elektronischen Pop-Produktion aber entsteht Schrammelrock nur, wenn Menschen auf engem Raum stehen, dreschen, zupfen, singen und gelegentlich ein Bier kippen. Das widerspricht einem Zeitgeist, der das Private über das Gesellschaftliche stellt. Und es passt wenig in eine Gegenwart, in der man das Einkaufen anonym über eine Homepage erledigt und in der man sich im Tram einen Kopfhörer über die Ohren stülpt, um den Atem des Sitznachbars zu übertönen. Beim Gitarrenrock aber handelt es sich um laute, radikale Anti-Kopfhörer-Musik. Die hat heute einen schweren Stand.