Es ist dein Leben, Niloofar

Der Film von Behnam Behzadi, soeben am Iranian Film Festival Zurich mit dem Hauptpreis ausgezeichnet, erzählt von einer Frau, deren Freiheit durch familiäre und gesellschaftliche Zwänge bedroht ist.

Christina Tilmann
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Niloofar (Sahar Dolatshahi) kümmert sich liebevoll um ihre kranke Mutter. Muss sie dafür ihr eigenes Leben aufgeben? (Bild: PD)

Niloofar (Sahar Dolatshahi) kümmert sich liebevoll um ihre kranke Mutter. Muss sie dafür ihr eigenes Leben aufgeben? (Bild: PD)

Schwer liegt der Smog auf der Stadt, insbesondere bei Inversionswetterlage, die dem Film den doppeldeutigen Titel gibt. Er hüllt die Hochhäuser, den morgendlichen Stau, das rege Strassentreiben in einen milchigen, grau-gelblichen Schleier, der höchst ungesund ist, Teheran – eine urbane, lebendige, moderne Stadt. «Ich liebe diese Stadt und selbst den Smog in ihr», sagt ein Bauunternehmer, der unlängst wieder zurückgekehrt ist nach Iran, und man kann ihn verstehen.

Hier lebt die 30-jährige Niloofar, unverheiratet, eine temperamentvolle, unabhängige Grossstädterin, die die Änderungsschneiderei ihres Vaters als Unternehmerin weiterführt, gerade einen Flirt mit einer Jugendliebe, ebenjenem Bauunternehmer, aufgenommen hat, das obligatorische Kopftuch eher als modisches Accessoire trägt und sich sonst um die lungenkranke Mutter kümmert. Zwei selbstbewusste Frauen, und wie sie miteinander umgehen, ist eine reine Freude. Die Mutter soll wegen der schlechten Luft nicht ausgehen, hält sich aber nicht daran, weil sie sich zu Hause langweilt, und meint, sie wisse selbst am besten, was ihr guttue. Am Mittwochabend ist dem Regisseur Behnam Behzadi für «Inversion» am Iranian Film Festival Zurich der Hauptpreis der Jury zugesprochen worden.

Mehr als ein Alltagsdrama

Das sind andere Iranerinnen in diesem Film als jene, die noch vor zehn, fünfzehn Jahren bei Abbas Kiarostami oder Jafar Panahi zu sehen waren, wo Autofahren noch ein Problem war und Ausgehen auch. Niloofar trifft sich mit ihrem Freund im Restaurant, sie besucht ihn auf der Baustelle, er wartet auf der Strasse auf sie. Ihre Nichte beobachtet die beiden, und es ist offensichtlich, die Tante Niloofar ist ihr grosses Vorbild. Die in Iran gefeierte Theater- und Filmschauspielerin Sahar Dolatshahi ist auch wirklich eine glamouröse Erscheinung, mit dunklen Augen, einem Hauch von Audrey-Hepburn-Look, eine strahlende, quecksilbrig-fröhliche, Wärme ausstrahlende Schönheit. Ihre Niloofar tanzt durch ihr Single-Leben, beaufsichtigt ihre Angestellten, schmeisst ganz nebenbei den Haushalt und hat immer noch Zeit für einen Scherz mit der Mutter. Und dann klingelt das Handy schon wieder, und es kommt eine SMS, die sie insgeheim lächeln lässt.

Als dann das Drama beginnt, weil die Mutter einen Kollaps erleidet und der Arzt dringend rät, sie möge Teheran sofort verlassen und in den Norden des Landes umziehen, wo die Luft besser sei, und Niloofars Bruder und Schwester beschliessen, dass Niloofar mitziehe, denn sie sei als Einzige frei, zu haben, während sie selbst durch Beruf und Familie gebunden seien, ist das zunächst ein reines Familienproblem. So, wie es auch in Asghar Farhadis Filmen zunächst Familiendramen zu sein scheinen, Ehedramen, Scheidungsdramen, Dramen um Wohnungen und um die Versorgung der alternden Eltern. Behzadi, geboren 1972, gehört wie der gleichaltrige Farhadi zu einer neuen Generation iranischer Filmemacher, und er zeigt Dramen, wie sie überall auf der Welt stattfinden. Alltagsdramen, in denen es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um Selbstverwirklichung, Verantwortung und Rücksichtnahme geht.

Und doch liegt unter der Alltäglichkeit ein bitterer Kern, der tief in der iranischen Gesellschaft wurzelt (und ein Stück weit auch in der unsrigen), eine stillschweigende Übereinkunft über die unterschiedlichen Rechte von Mann und Frau und die Rollen, die sie in Beruf und Familie spielen sollen. Niloofar, die so selbstverständlich davon ausgeht, ihr Leben selbst zu bestimmen, muss gewahr werden, dass ihre freundliche Art ausgenutzt wird und ihre Interessen keineswegs gleich viel zählen wie die des Bruders oder der verheirateten Schwester. Dass der Bruder (machohaft rücksichtslos und getrieben: Ali Mosaffa) ihr Auto ausgeliehen hat, weil er es dringend für Termine braucht – sie könne ihre Einkäufe doch mit dem Taxi machen –, das stört sie nicht, doch die Mutter fragt gleich nach, ob das denn wirklich sein müsse.

Ein Lebensentwurf zerbricht

Als der Plan des Umzugs entsteht, ist es wieder der Bruder, der beschliesst, dass man, wenn Niloofar die Stadt verlasse, ihre Änderungsschneiderei doch gleich vermieten und seine Schulden damit bezahlen könne. Und so steht sie eines Morgens vor verschlossenen Türen, alle Nähmaschinen sind hinter dem Vorhängeschloss, die ratlosen Angestellten davor, und merkt, dass innerhalb kürzester Zeit alles, was ihr Leben ausgemacht hat, die Wohnung, das florierende, gerade renovierte Unternehmen, das Einverständnis mit der Familie, zerbrochen ist – und keinem scheint es auch nur aufzufallen.

Plötzlich stehen harte Worte im Raum, Worte wie Pflicht, Egoismus und: Du bist dann für den Tod der Mutter verantwortlich. Und dazu die Unterstellung, dass ihr Job, ihr Leben, doch nur ein Hobby, ein Zeitvertreib gewesen sei, und ihre wahre Berufung die Familie und ihre Versorgung. Als Niloofar dagegenhält und fragt, warum das nur für sie gelte und wie das mit Schwester und Bruder sei, warum die nicht auch ihren Teil der Verantwortung übernehmen, eskaliert die Lage, brechen alle Verbindungen. Plötzlich ahnt man, wie kurz der Weg noch ist zur familiären, zur gesellschaftlichen Ächtung und was das bedeuten kann in diesem Land. Am deutlichsten spürt das Setareh Hosseini als Niloofars Nichte Saba, die versucht, zwischen den Fronten zu vermitteln, und doch kaum die Panik verhehlen kann, als sie sehen muss, wie schnell die Schicht von Emanzipation und Selbständigkeit bricht, die sie für selbstverständlich hielt. Immerhin: Niloofar selbst findet noch einen Ausweg, der ihr eine selbstbestimmte Entscheidung ermöglicht – am Ende steht ihr Lachen. Doch davor gab es sehr viele, sehr schmale Lippen und böse Blicke. Es ist ein weiter Weg in die Freiheit.

★★★★★ Kino Riffraff in Zürich.