Die eiserne Lady

Pablo Larraíns Filmbiografie über die frühere First Lady rekapituliert die Stunden nach dem Attentat auf John F. Kennedy – und zeigt, wie seine Witwe an ihrem Bild in der Öffentlichkeit arbeitet.

Christina Tilmann
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Der Schock steht Jackie Kennedy (Natalie Portman) nach dem Attentat auf ihren Mann ins Gesicht geschrieben. (Stephanie Branchu)

Der Schock steht Jackie Kennedy (Natalie Portman) nach dem Attentat auf ihren Mann ins Gesicht geschrieben. (Stephanie Branchu)

Gerade erst hat eine First Lady das Weisse Haus verlassen, und alle Welt schwärmt noch von ihr, ihrem Stilgefühl, den schon jetzt legendären Kleidern, den muskulösen Oberarmen, dem selbstbewussten Lachen, der entspannten Art mit ihren Töchtern. «Würde, Mut und Humor» preist ihr Mann in seiner letzten Rede. Der jugendliche Präsident, der so viel wollte und versprach für ein neues Amerika, und die starke, schöne Frau an seiner Seite: Das war ein Traumpaar, acht Jahre lang.

Wie sich die Konstellationen wiederholen. Schon einmal hat ein junges, gutaussehendes Paar das Weisse Haus erobert, mit neuem Stil und neuen Ideen und dem Versprechen für eine glänzende Zukunft Amerikas, die dann allzu schnell wieder vorüber war. Sie haben vielleicht keinen Gemüsegarten im Park des White House angelegt und auch nicht Alicia Keys zum Konzert eingeladen, aber auch diese First Lady dekorierte das Haus konsequent um, und es gab endlose Cocktailpartys und ausgelassenen Tanz, und Jacqueline Kennedy sass in einem hinreissenden bodenlangen Eau-de-Nil-Wildseidenkleid in der ersten Reihe, wie eine echte Königin.

Ein Mythos wird konstruiert

Vom Ende dieser Aufbruchszeit erzählt Pablo Larraíns Film «Jackie». Und er macht, in verschachtelter Erzählstruktur mit Rahmenhandlung, unmissverständlich deutlich, dass der Mythos Camelot, jener «kurze glänzende Moment», der noch immer nachwirkt, wenn von Jack und Jackie die Rede ist, eine Konstruktion war, eine postume Erfindung. Seine Erfinderin war eben jene Ostküstenschönheit mit dem charakteristischen Slur in der Stimme, die wir zu Beginn noch nervös und unsicher vor der Kamera sehen, als sie 1961 das Fernsehen durch ihr neu gestaltetes Heim führen soll.

Es geht also um Konstruktion von Geschichte, und das in einem Filmgenre, das sich gemeinhin der getreuen Rekonstruktion bekannter Bilder widmet. Natürlich ist, in der Ausstattung von Jean Rabasse und den Kostümen von Madeline Fontaine, alles vom Feinsten, die berühmten Chanel-Kostüme, die Pillbox-Hüte, die legere Wohnlichkeit, die ins Weisse Haus einzieht, eine First Lady, die sich spätabends noch eine Platte auflegt und mehr als einen Drink dazu nimmt. Gerade in den Szenen, in denen der Film mit den Originalaufnahmen der Tour durchs Weisse Haus arbeitet, verschwimmen die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion, schleicht sich Natalie Portman als Jackie in die vermeintlichen Originalszenen, und man merkt es kaum, so täuschend ist die Mimikry.

Doch das Ziel ist mehr als pflichtgetreue Nachahmung. Was Larraíns Film verhandelt, in jedem Dialog wie in jedem Bild, ist die Frage nach historischer Überlieferung und ihrem Verhältnis zur Realität. Jacqueline Kennedy selbst hat das als Erste begriffen, als sie nach dem Attentat auf ihren Mann persönlich die Inszenierung der Begräbnisfeierlichkeiten übernimmt, um John F. Kennedy seinen Platz in der Geschichte zu sichern – direkt neben Abraham Lincoln in der Halle des amerikanischen Ruhms. «Am Ende kommen uns Charaktere, über die wir in den Zeitungen lesen, realer vor als die Menschen, die gerade noch neben uns standen», sagt sie im Film zu einem Journalisten.

Ein stundenlanges Interview, angelehnt an jenes, das Theodore H. White eine Woche nach dem Attentat für das Magazin «Life» in Hyannis Port, dem Sommersitz der Kennedys in Massachusetts, geführt hat, bildet die Rahmenhandlung des Films: ein Kräftemessen, ein Ringen um die Deutungshoheit und so etwas wie die Geburt der politischen Jackie Kennedy. Natalie Portman, deren spürbarer Ehrgeiz, alles richtig zu machen, gut zu der Anspannung ihrer Figur passt, darf hier alle Facetten ausspielen, zwischen hochemotionalen Erinnerungen und kalt berechnenden Posen – eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, aber jederzeit in voller Kontrolle ihres Gegners. Immer wieder weist sie den Interviewer zurück, bricht das Gespräch ab, wechselt das Thema und beharrt darauf, jeden Satz vor der Veröffentlichung kontrollieren zu dürfen. «Denken Sie bloss nicht, dass Sie das schreiben dürfen», erklärt sie ihrem von Billy Crudup präzise zwischen Entnervtheit und Resignation gegebenen Gesprächspartner. «Ich habe das nie gesagt.» Und nach einem langen Zug an der Zigarette kommt die Ansage: «Ich rauche nicht.»

Ein Platz in der Geschichte

Es ist in diesen Szenen, in denen Portman eine geradezu kristalline Härte zeigt, die dem Bild der trauernden Witwe so wenig entspricht. Sicher, der Film zeigt uns Jackie traumatisiert unmittelbar nach dem Attentat, wir sehen sie erstarrt am Sarg und verzweifelt mit ihren Kindern, es ist ein Film über Schock und Leid und Trauerarbeit und das Doch-funktionieren-Müssen. «Wie mache ich das?» fragt Jackie anrührend hilflos vor der Aufgabe, ihren Kindern die Nachricht überbringen zu müssen. Und in einer unvergesslichen Sequenz irrt sie nachts durch die gespenstisch leeren Säle des White House, probiert eine Trauerrobe nach der anderen, noch ein Schluck aus dem Wodkaglas, noch ein verlorenes Innehalten – ein verzweifeltes Solo, das man lange nicht vergisst.

Aber für Larraín und das Drehbuch von Noah Oppenheim geht es um mehr als das private Leid der Jackie K. Hier hat eine Frau begriffen, dass es um ihren Platz in der Geschichte geht, und sie kämpft darum mit allen Mitteln – und wird dadurch erstaunlicherweise nicht unsympathischer, sondern facettenreicher und stärker. Das Rätsel Jackie, jene sphinxhafte Undurchdringlichkeit, die oft über den Zügen der realen Jacqueline Kennedy lag und an der sich bis heute Biografien abarbeiten, bekommt in Natalie Portmans Darstellung Risse, Licht und Schatten, Kraft – und in seltenen Momenten wie jenem, in dem sie sich am Abend des Attentats allein mit einer Zigarette ins Bett legt, eine atemberaubende Intensität. Indem sie Jackies öffentliche Persona als bewusste Konstruktion entlarvt, lässt sie sie paradoxerweise als Mensch lebendiger erscheinen – und hat damit jede Chance auf einen zweiten Oscar.

★★★★☆ Arthouse Le Paris, Riffraff in Zürich.