Wenn der Retter rappt

Kendrick Lamar hat hohe Erwartungen geweckt. Sein neues Album «Damn» aber enttäuscht nicht. Er brilliert in der Mehrstimmigkeit seiner Rollenspiele.

Ueli Bernays
Drucken
Der Rapper Kendrick Lamar spielt virtuos mit Stimmen und Sprache. (Bild: Jack Plunkett / Invision / AP)

Der Rapper Kendrick Lamar spielt virtuos mit Stimmen und Sprache. (Bild: Jack Plunkett / Invision / AP)

Vor Monaten empfahl sich Kendrick Lamar als «hip-hop rhyme savior» – in einer Welt, die ausser Rand und Band geraten sei. Mit solch unbescheidenen Worten kündigte er in «The Heart Part 4», einer Art Reklame-Track, ein neues Album an. Vor Wochen materialisierte sich das Versprechen in der Single-Auskopplung von «Humble» – sowie im entsprechenden Video: Zum Sound eines pumpenden Basses und eines flüchtigen Piano-Motivs trat Kendrick Lamar hier nicht nur als Prophet auf, er setzte sich auch gleich ans letzte Abendmahl. Unterdessen hat der Rapper-Retter sein viertes Album herausgebracht, pünktlich zu Ostern. Zum christlichen Termin aber passt der Titel wie die Faust aufs Auge: «Damn»!

Timing und Spannung

Das Timing und der Sinn für Spannung sind charakteristisch für den Musiker Kendrick Lamar. Und mag er mit «Damn» die Welt nicht retten, so vielleicht doch den Hip-Hop. Musikalisch wie sprachkünstlerisch jedenfalls erweist er sich auf der Höhe der Erwartungen. Nachdem er 2012 mit dem Coming-of-Age-Album «Good Kid, M.a.a.d. City» bereits für Furore sorgte und 2015 dank «To Pimp A Butterfly» zum musikalischen Idol der Black-Lives-Matter-Bewegung avancierte, brilliert er auf «Damn» abermals. War seine Musik zuvor aber von Funk- und Jazz geprägt, wechselt er auf «Damn» zwischen 70er-Jahre-Soul, Hip-Hop und Elektro ab. Und wo vorher jazzige Eleganz dominierte, lebt der Sound nun von fiebriger Dringlichkeit und von soulig-psychedelischen Mäandern.

Für Rap gilt ganz allgemein, dass sich poetisches Können mit rhetorischem Wollen verknotet – weil Rappen eben nicht nur eine Kunst ist, sondern auch ein kompetitives Spiel. Das zeigt sich auch auf «Damn». In «Humble», «DNA» oder «Element» (mit einem Piano-Arrangement von James Blake) lobt Kendrick Lamar seine Bedeutung für die Hip-Hop-Kultur, um sich quasi am eigenen Schopf herauszuheben aus der Konkurrenz.

Neben der Genre-typischen Prahlerei kommen auf «Damn» jedoch auch Ängste und Zweifel zur Sprache. Thematisch dreht sich «Damn» um die persönliche Existenz. Das rappende Ego, das sich in verschiedenen Stimmen und Stimmungen vernehmen lässt, hat dabei aber durchaus exemplarischen Charakter – im Eigensinn wie in Selbstzweifeln.

Wörter in den Wunden

Wie Finger in Wunden stechen kurze Titel wie «Blood», «God» und «Fear» jeweils in einen existenziellen Plexus. Dabei gliedert sich das Repertoire in Gegensätze und Dualitäten: «Love» und «Lust», «Fear» und «Pride». Im Opener «Blood» ist die Rede von einer blinden Frau – ist es Justitia? –, die hilfsbedürftig zu sein scheint scheint, sich aber plötzlich als hinterhältig und mörderisch erweist. So stellt sich die Frage nach «weakness or weakedness» – nach Schwäche oder Verschlagenheit. Dieser Gegensatz hallt später implizit oder explizit im ganzen Album nach. Ähnlich wandern auch andere Themen durch das Repertoire – die Einsamkeit und Verlorenheit etwa: «Ain't nobody prayin' for me», rappt Lamar immer wieder.

In einem Interview mit dem amerikanischen Star-Produzenten Rick Rubin hat sich Kendrick Lamar unlängst als Prince-Fan erklärt; Prince habe ihn insbesondere zum Spiel mit Stimmen und Stimmlagen inspiriert. Diese Faszination ist nicht neu. So überrascht es nicht, dass das neue Album einmal mehr von Sprach- und Rollenspielen lebt.

In «Loyalty» etwa findet sich der Rapper mit R'n'B-Star Rihanna zum Duett zusammen. Tatsächlich lässt sich in ihren surrend-komprimierten Stimmen eine Verwandtschaft des Timbres erkennen, das Lamar nun zweistimmig oder kontrapunktisch zur Geltung bringt. In «Fear», einer sieben Minuten langen Soul-Fuge, bringt er zuerst die ständigen Drohungen eines gewalttätigen Vaters («I beat you ass»), dann die ständigen Zweifel eines Teenagers («I'll prolly die») zum Ausdruck, um schliesslich auf sich selbst und seine künstlerischen Ängste zu sprechen zu kommen: «I'm talkin' fear, fear of loosing creativity».

Während sich aber in «Fear» der Tonfall graduell verändert, setzt Lamar anderswo auf harte Brüche: In «XXX» zum Beispiel reisst ein lockeres Funk-Intro plötzlich ab – Lamars Sprechgesang wechselt sodann zwischen Laid-back und hysterischem Furioso, bevor das Stück wieder in ein lockeres Outro mündet, prominent intoniert von U2.

Zitate und Mehrstimmigkeit

Schliesslich arbeitet der bald 30-jährige Afroamerikaner auch mit Stimm-Samples und Zitaten. Als Kontrast zum eigenen Rap greift er wiederholt auf das Statement des Fox-News-Moderators Geraldo Rivera zurück. Rivera wollte Lamars Hit «Alright» als Aufruf zur Gewalt missverstehen. Lamar hat ihm darauf öffentlich widersprochen. Auf «Damn» fungiert das Rivera-Quote nun vor allem als dramaturgisches Mittel: In «DNA» etwa bricht sich Lamars Rap förmlich an Riveras Aussage. Seine Stimme reibt, erhitzt sich daran und lässt sich dann mehrstimmig in verschiedenen Intensitäten und aus unterschiedlichen Positionen vernehmen.

Dass Kendrick Lamar Rollenspiele liebt, mag man längst wissen. In der dynamischen Montage verschiedener Stimmen in unterschiedlichen Tempi, Lagen und Positionen offenbart sich mehr und mehr aber sein eigentliches Genie. Die Texturen der Stimmen fügen sich zur musikalisch-sprachlichen Komposition. Das Wie seines Rappens ist so suggestiv und dringlich wie das Was.

Kendrick Lamar: Damn (Universal).