Kolumne

Es knirscht und kracht im Metapherngebälk

Der Sommer hat noch kaum begonnen, da kündigen die Verlage bereits ihre Herbstbücher an. Wieder einmal wird das Blaue vom Himmel versprochen, und abermals soll die Welt an der Literatur genesen.

Paul Jandl
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Von Marlene Streeruwitz erscheint im Herbst ein neues Buch. Der Verlag verspricht nicht weniger als: «Aufruhr». (Bild: APA / Georg Hochmuth / Keystone)

Von Marlene Streeruwitz erscheint im Herbst ein neues Buch. Der Verlag verspricht nicht weniger als: «Aufruhr». (Bild: APA / Georg Hochmuth / Keystone)

Geist und Physik. Kaum jemals stehen sie einander feindlicher gegenüber als am Beginn einer Buchsaison. Kiloschwere Verlagsvorschauen müssen durch die Briefschlitze von Kritikerpostkästen gedrückt werden und Sätze wie dieser erst einmal in die Köpfe potenzieller Leser: «Unter dem Deckmantel eines historischen Bravourstücks ist dieser verblüffende Roman ein Echo gegenwärtiger Weltereignisse.»

Es knirscht und kracht im Metapherngebälk, wo man doch nur das Beste will: das «raffinierte», «überbordende», «leichthändige» Buch ankündigen. Das Buch mit «grosser visueller Kraft». Oder den «literarischen Erdrutscherfolg». Man ist dabei, «wenn einem das Flattern durch Mark und Bein schiesst» oder sich eine «leidenschaftliche Liebesgeschichte entspannt». Man nennt das wohl Entspannungsliteratur.

Superlative des Lobs

Es muss geworben werden, und in der superlativischen Welt der Vorschauen kommt das Lob immer öfter von schreibenden Kollegen. Vom Fachmann gewissermassen. Der muss es dann auch nicht so genau nehmen: «Emilia Smechowski ist die mutigste Autorin ihrer Generation» (Maxim Biller), «Besser wird Literatur nicht.» (Christoph Peters über Marcus Braun).

Der Literaturbetrieb ist ein Familienroman für sich, und so passt er selbst ganz gut zu dem, was da auf uns zukommt. Man liest von Warlords in der Badewanne, von verkleideten Weihnachtsmännern, redseligen Rheinländern und böhmischen Raumfahrtprogrammen. Wo es ernst zugeht, dort lotet das Senkblei des Schaffens oft tief in der Geschichte. Frank Witzels neuer Nachkriegszeitroman wird damit beworben, dass der Leser «in das Grauen des Menschenmöglichen» hinabsehen könne.

Auch anderswo geht es historisch zu. Daniel Kehlmann ist bei Tyll Ulenspiegel gelandet und Michael Köhlmeier beim heiligen Antonius; Markus Orths bei Max Ernst, Uwe Timm mit seinem Roman «Ikarien» im April 1945. Christian Haller geht mit «Das unaufhaltsame Fliessen» in die eigene Geschichte zurück.

Zum Wichtigen: Robert Menasse hat endlich seine EU-Brüssel-Burleske mit dem Titel «Die Hauptstadt» fertig (Suhrkamp, September) und Melinda Nadj Abonji den ersten Roman seit ihrem Buchpreisgewinn 2010. «Schildkrötensoldat» erscheint im Oktober. Ebenfalls bei Suhrkamp. Im November luxuriert dort Peter Handke mit einer Erzählung von immerhin 624 Seiten: «Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere».

Ein Geheimtipp könnte Klaus Cäsar Zehrers Debütroman «Das Genie» sein (Diogenes, August). In der internationalen Literatur sind es Colson Whitehead mit «Underground Railroad» (Hanser, August), Péter Nádas mit «Aufleuchtende Details» und Arundhati Roy mit «Das Ministerium des äussersten Glücks».

Der grosse Welterklärer

Politisch geht es in den Vorschauen auch zu. Voltaires aufrührerische «Briefe aus England» sind rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse angekündigt, wo Frankreich Gastland ist. Ein Buch, das bei seinem ersten Erscheinen laut Diogenes-Verlag umgehend «zur Verbrennung verurteilt wurde». Deutschlands SPD-Aussenminister Sigmar Gabriel hat einen Gross-Essay mit dem Titel «Neuvermessungen» geschrieben. Ein leichthändiges Welterklärungswerk mit dem Untertitel «Was da alles auf uns zukommt und worauf es jetzt ankommt».

Ohne Zweifel, die Zeiten sind komplex. Da lobt man sich die schnörkellose Verlässlichkeit einer Marlene Streeruwitz, über deren neues Buch die Verlagsvorschau nur die allernötigsten Worte verliert: «Streeruwitz macht Aufruhr.»