Neuerdings warten die Männer ungeduldig auf Milena Mosers neue Bücher

Für Milena Moser gibt es keine Gleichberechtigung im Literaturbetrieb. Sie spüre die Ungleichheit noch immer, auch wenn sie heute Martin Suter den ersten Platz auf der Bestsellerliste streitig macht.

Nora Zukker
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Sie habe auf beide autobiografischen Bücher erstaunlich viele Leserreaktionen von Männern erhalten, sagt Milena Moser. (Bild: Nina Wright)

Sie habe auf beide autobiografischen Bücher erstaunlich viele Leserreaktionen von Männern erhalten, sagt Milena Moser. (Bild: Nina Wright)

«Auf mich hat niemand gewartet», sagt Milena Moser. Doch, ich. Zehn Minuten im Restaurant Au Premier in Zürich, während sie verlorenen Touristen den Weg zum Zug zeigte. Und heute warten viele, mehrheitlich Frauen, auf Milena Mosers neue Bücher. Jüngst erschien das zweite autobiografische Buch: «Hinter diesen blauen Bergen».

Milena Moser bestellt sich einen Espresso, lässt ihre Schultern entspannt nach hinten fallen und schaut mich erwartungsvoll an. In ihr offenes Gesicht meine ich alles fragen zu dürfen. Sie strahlt eine sich kümmernde Gelassenheit aus. Ob sie sich nicht falsch verstanden fühle, will ich wissen. Da sie auch bei ihrem neuesten Buch in den Medien wieder als Fachfrau für weibliche Befindlichkeiten dargestellt wird, die Yoga macht, an Horoskope glaubt und ihr Glück von der Liebe abhängig macht. «Doch, natürlich, aber darüber rege ich mich heute nicht mehr auf», lacht sie einen Augenblick zu lange. Ich glaube ihr nicht ganz, dass es sie nicht trifft, wenn sie heute noch in bösen Briefen belehrt wird, dass man mit zwei Scheidungen nicht angebe und dass sie eine Rabenmutter sei, wenn sie ihre erwachsenen Söhne in der Schweiz zurücklasse.

Sexistische Reduktionen

Als ihre Kinder noch klein waren, wurde sie auf Lesungen regelmässig gefragt, wer denn jetzt zu den Kindern schaue, wenn sie hier sei. «Kinder? Um Himmels willen, die habe ich ganz vergessen! Das kam überhaupt nicht gut an», lacht Milena Moser, hält inne, bis ihre Stimme matter wird: «Peter Stamm fragt man sicher nicht, wer zu seinen Kindern schaut, wenn er arbeitet.» Diese Ungleichheit spürt sie auch heute noch. Heute, da ihr der Erfolg recht gibt und sie als wichtige Vertreterin der Schweizer Literatur gilt, ihre Bücher zu den meistgelesenen gehören und sie sich nur mit Martin Suter um den ersten Platz auf der Bestsellerliste rangelt.

Aber das nütze ihr wenig, wenn sie immer noch auf ihr Frausein in einer Art reduziert werde, die sich seit ihren literarischen Anfängen vor dreissig Jahren kaum verändert habe. In den neunziger Jahren erschienen ihre Bücher unter anderem in der Taschenbuchreihe Neue Frau bei Rowohlt. Neue Lektüre für neue Frauen. Neben Wissenswertem, Politischem, Theoretischem sollte auch das Frauliche bedient werden.

«Wann ist das passiert mit der Vertreterin der Schweizer Literatur? Ich bin mich immer noch gewohnt, dass ich nicht dazugehöre», Milena Moser wickelt sich ihren orientalischen Schal um den Hals. Ich muss sofort daran denken, dass sie einmal den Lieblingschampagner des Verlegers Klaus Wagenbach kaufte, austrank und ihr Manuskript um die Flasche wickelte und abschickte. Ihre Flaschenpost blieb unbeantwortet.

Milena Moser liess sich aber nicht entmutigen. Sie tat das, wovon man jedem Debütanten abrät: Sie gab ihre ersten drei Bücher im Eigenverlag heraus. Beharrlich schrieb sie gegen jeden Verriss an, und allmählich wurden ihre Bücher wahrgenommen: Sie sind Best- und Longseller. «Ich bin heute froh, wurde ich nicht ganz jung hochgelobt und dann wieder fallengelassen.»

Zerrissen zwischen Beruf und Kind

Mit 31 war Milena Moser bereits einmal verheiratet, wieder geschieden und hatte einen achtjährigen Sohn, den sie alleine aufzog. «Ich hatte damals als Alleinerziehende kein Geld für die Kinderbetreuung», und so war es gut, dass sie zu Hause arbeiten konnte und zum Beispiel fürs Radio schrieb. «Ich dachte oft, ich bin keine gute Mutter und konzentriere mich nicht genug auf meine Arbeit. Ich war immer sehr zerrissen», meint Moser, die das Schreiben aber nicht hatte aufgeben wollen.

Aufgegeben hat sie ihr Leben in der Schweiz. In dem vorangehenden, ebenfalls autobiografischen Buch «Das Glück sieht immer anders aus» wollte sie sich unbedingt verlieben und wanderte nach Santa Fe in New Mexico aus. Ihr neues Buch beschreibt nun die Erfüllung dieses Wunsches. Wir wissen jetzt, dass sie das erste Mal in ihrem Leben alleine wohnt und dass sich in Santa Fe ihre Mädchenträume erfüllen: reiten, tanzen, ein neuer Mann. Das ist doch etwas schlicht und irritierend zu lesen, wenn man weiss, wie Milena Moser um ihren Platz als Frau im Literaturbetrieb kämpfte.

Weibliche Klischees

In ihren autobiografischen Büchern bedient sie jetzt weibliche Klischees, die sich sprachlich nur unwesentlich von den Beiträgen in «Milenas Blog» auf der Website der gelernten Buchhändlerin unterscheiden. «Wer denkt: Neue Liebe, alles gut, wird vom Buch enttäuscht sein. Es ist nicht das Haus, der Ort oder der Mann, die mich retten», lacht Moser. Vielmehr gehe es ihr um Selbstbestimmung. Um das eigene Glück unabhängig von bürgerlichen Konzepten. Dieses Ringen wird in ihrem neuesten Buch aber zu wenig deutlich.

Die 53-Jährige weiss, dass ihre Erfahrungen auf grosses Echo stossen bei ihren Leserinnen, die heimlich vom Ausbrechen träumen. Milena Moser schreibt also über kollektive Sehnsüchte, und da treffen Sätze wie «Ich muss das Paradies nicht mehr suchen, ich trage es in mir» ins Schwarze bei Frauen mittleren Alters. In den neunziger Jahren waren viele Frauen vom Moser-Fieber angesteckt. «Die Putzfraueninsel» und «Blondinenträume» wurden verschlungen und der Nachbarin in der Strasse ausgeliehen, die schon ungeduldig wartete.

Nun gewinnt sie neue Leser: «Ich habe auf beide autobiografischen Bücher auffallend viele begeisterte Reaktionen von männlichen Lesern bekommen», strahlt sie. Warten nun also die Männer auf Milena Mosers Bücher, um ihre Frauen besser zu verstehen?

Milena Moser: Hinter diesen blauen Bergen. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2017. 256 S., Fr. 29.90.