Wo der Lippenstift zur Waffe wird

Sein früher Ausflug in die Werbegrafik gab James Rosenquist ein gutes Rüstzeug an die Hand. Er wurde zu einem Pionier der Pop-Art, dessen kritisch-experimentierlustiger Geist auch im Alter wach blieb.

Simon Baur
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 Was ist da Krieg und was Kosmetik? James Rosenquists «The Swimmer in the Economist» (1997–1998). (Bild: James Rosenquist / © Pro Litteris)


Was ist da Krieg und was Kosmetik? James Rosenquists «The Swimmer in the Economist» (1997–1998). (Bild: James Rosenquist / © Pro Litteris)

Es gibt sie noch – die Künstler, die seit Jahrzehnten die internationale Kunstszene beleben und dann völlig unverhofft ein Alterswerk hinlegen, dass einem die Spucke wegbleibt. James Rosenquist, der am 31. März in New York City verstorbene Pop-Art-Künstler, gehört dazu. Die Energie und der Einfallsreichtum des 1933 in Grand Forks, North Dakota, geborenen Sohns einer schwedisch-norwegischen Familie schienen bis zuletzt ungebrochen. Der Kunsthistoriker und Kritiker Walter Hopps, Gründungsdirektor der Menil Collection in Houston, nannte ihn einst den qualitätsvollsten und brillantesten der ihm bekannten Maler.

Rosenquist studierte von 1948 bis 1954 an der Minneapolis School of Art und der University of Minnesota. 1955 liess er sich in New York nieder, wo er Künstlern wie Robert Indiana, Jasper Johns, Ellsworth Kelly und Agnes Martin begegnete. Zunächst verdiente er sich drei Jahre lang seinen Lebensunterhalt mit dem Malen von Werbeplakaten. Diese Arbeit sensibilisierte ihn nicht nur für seine späteren Themen, vor allem Stillleben der Konsumgesellschaft; sie inspirierte ihn auch zur Arbeit mit grossen Formaten, von denen nicht wenige zehn Meter breit sind.

Von der Werbung inspiriert

Donald Judd, der vor seiner Karriere als Maler und Objektkünstler bis 1965 als Kunstkritiker tätig war, würdigte Rosenquist im August 1964 in einer Besprechung in «Art in America». Er betonte dabei die Nähe des Malers zum Kubismus und wies gleichzeitig auf seine an Werbetafeln erinnernde Technik hin. Wie Judd präzisiert, zeigen die Fragmentierung der Motive und die unterschiedlichen verwendeten Techniken in Rosenquists Arbeiten, dass es sich um Kunst und nicht um Werbung handelt. Seine monumentalen Gemälde, stets in Öl auf Leinwand, lassen kaum je einen Pinselstrich erkennen. Man könnte meinen, er habe seine Arbeiten am Computer entworfen, doch der Eindruck täuscht. «No computer», betont der Künstler selbst. «Ich liebe alle anderen Maschinen, aber der Computer ist gut für Architekten und für die Industrie. Ein Computer kann vieles ersetzen, aber nicht das menschliche Gehirn.»

James Rosenquists Bilder sind Collagen aus Dingen, die scheinbar nicht zusammengehören: Trockenhauben und Bomber, Kühlerhauben und Kotflügel, Bohrer, Körperteile, Blumen, Fische, schmutziges Geschirr, Zahnräder, Lippenstifte und Bleistifte, die wie Waffen aussehen. Seine Kunst hat eine sehr zeitgenössische und auch politische Dimension, denn sie spiegelt unser Konsumverhalten, auch in der heutigen Medienwelt: Mit seiner typischen Fragmentierung der Bilder überträgt Rosenquist den Gestus des Zappens durch verschiedenste Fernsehkanäle in seine Malerei. Und so erstaunt es nicht, dass einige seiner Werke bis heute ikonischen Charakter haben – so etwa das Anfang der 1960er Jahre entstandene Bild «President Elect», das John F. Kennedy mit Insignien der Konsumgesellschaft zeigt.

Vorbild für viele

Ob Rosenquist nun wirklich ein Pop-Art-Künstler war – ein Prädikat, gegen das er sich zeitlebens zur Wehr setzte –, sei letztlich dahingestellt: Der Einfallsreichtum, die Vitalität, die Energie und die Perfektion, die seine Arbeiten ausstrahlen, haben nicht nur Generationen von Sprayern inspiriert, sie lassen zudem manchen jüngeren Künstler alt aussehen. Seine Kunst wird auch in Zukunft begeistern, gerade weil sie so stark den Puls ihrer Zeit wiedergibt und einen Amerikanismus widerspiegelt, mit dessen Schattenseiten wir zunehmend konfrontiert werden.

Das Museum Ludwig in Köln zeigt vom 18. November 2017 bis Anfang März 2018 eine grosse Ausstellung zu James Rosenquist.