Die Muse und der Totenkopf

Die Auktionen in New York für moderne und zeitgenössische Kunst sind wichtigster Gradmesser des Kunstmarkts. Einen Rekordpreis von über 110 Millionen Dollar erzielte ein Werk Jean-Michel Basquiats.

Christian Schaernack
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Jean-Michel Basquiat: «Untitled». Das Gemälde brachte bei Sotheby's in New York 110,5 Millionen Dollar. (Bild: Pro Litteris)

Jean-Michel Basquiat: «Untitled». Das Gemälde brachte bei Sotheby's in New York 110,5 Millionen Dollar. (Bild: Pro Litteris)

Einmal mehr bescherten die New Yorker Frühjahrsauktionen ein Wechselbad der Gefühle: Euphorie, die dazugehörenden Dämpfer, auch Verunsicherung – wobei letztlich die ermutigenden Signale klar überwogen. Mit ihrer breiten Auswahl an Spitzenwerken vom Impressionismus bis zur zeitgenössischen Kunst sind diese Auktionen nämlich wichtigster Gradmesser des Kunstmarkts. Der letzte Abend der Auktionsserie hielt sogar eine Sensation bereit, die Auktionsgeschichte schreibt: einen Rekordpreis von über 110 Millionen Dollar für ein Werk des Afroamerikaners Jean-Michel Basquiat.

Verheissungsvoll hatte der Reigen bereits am Montag bei Christie's begonnen. Schon der Blick auf das Gesamtergebnis von knapp 290 Millionen Dollar verrät, dass die Baisse der letzten 24 Monate möglicherweise überwunden ist, hatte das Ergebnis vor einem Jahr doch noch bei 141 Millionen gelegen. Diese Einschätzung liess sich jedenfalls am Folgetag bei Sotheby's einigermassen verfestigen.

Ikone der klassischen Moderne

Doch vorerst richteten sich alle Augen auf Constantin Brancusi im Rockefeller Center. Dort hatte Christie's eine von nur sechs bekannten Bronzen der ikonischen «Muse endormie» von 1913 im Angebot, in der vorliegenden Version mit einer teilweise blattvergoldeten Patina versehen. Der liegende Kopf war seit über einem halben Jahrhundert nicht mehr auf dem Markt und kam direkt aus Pariser Familienbesitz. Entsprechend gross war die Nachfrage. Fast zehn Minuten dauerte das Bietgefecht von mindestens einer Handvoll Interessenten, bis schliesslich Tobias Meyer, ehemals Starauktionator bei Sotheby's und heute im privaten Kunsthandel tätig, den Zuschlag bei 57,3 Millionen Dollar erhielt – ein Preis, der den bisherigen Brancusi-Rekord glatt verdoppelte.

Nur zwei Jahre früher als Brancusis Musenkopf entstanden ist Georges Braques kubistisches Kleinod «Le guéridon», das erwartungsgemäss ebenfalls auf reges Interesse stiess. Dementsprechend erwies sich auch hier die Taxe von 4 bis 6 Millionen Dollar bereits als Makulatur, als der Hammer bei 10 Millionen fiel. Und auch Pablo Picasso konnte nach Plan reüssieren. Dessen Porträt Dora Maars von 1939 schlug mit den erwarteten 45 Millionen Dollar zu Buche – der Eigentümer hatte das Gemälde erst 2011 für 29 Millionen Dollar erworben.

Einen herben Dämpfer erhielt die Stimmung dann am Dienstag, als klarwurde, dass der Konkurrenz von Sotheby's das Spitzenlos abhandenkommen würde. So hatten sich die Einlieferer eines Werks Egon Schieles, das immerhin auf 30 bis 40 Millionen geschätzt war, kurzfristig zum Rückzug entschlossen. Der Ausfall drückte das Ergebnis auf 173 Millionen Dollar, was etwa der mittleren Gesamtschätzung entsprach. Doch auch sonst ging es deutlich ruhiger zu als tags zuvor, ein Viertel der 50 angebotenen Werke fand keine Käufer.

Kurios war dabei das erste Los: eine hölzerne Plastik von Alexander Archipenko für 560 000 Dollar, die der Verkäufer 2015 bei einem Auktionshaus in der amerikanischen Provinz für 425 Dollar ersteigert hatte. Überhaupt war Skulptur Trumpf an diesem Abend, wenn auch in anderen Preisregionen. So Max Ernsts schachspielendes Königspaar, um das sich gleich ein Dutzend Bieter stritten und das schliesslich rund 16 Millionen Dollar (Taxe 4 bis 6 Millionen) einspielte; oder ein Torso von Hans Arp, ein Guss aus den frühen sechziger Jahren, der den Rekordpreis von 4,85 Millionen Dollar brachte; auch ein «Don Quijote» von Germaine Richier für 3 Millionen Dollar: ganz zu schweigen von einer kompletten Bibliothek aus Holz und Bronze, die Diego Giacometti in den sechziger Jahren für einen Sammler entworfen hatte und die nun für 6,3 Millionen Dollar zugeschlagen wurde. Da blieb wenig Augenmerk für die Gemälde. Eine der seltenen suprematistischen Kompositionen Kasimir Malewitschs überzeugte aber mit 21 Millionen Dollar, und ein früher Degas, das bezaubernde Bildchen von 1860, auf dem eine Gruppe von Knaben zu sehen ist, kam auf einen Wert von knapp über 6 Millionen Dollar.

Talfahrt des Dow Jones

Mit solch soliden Ergebnissen im Rücken ging es dann in die nächste Runde. Und während die gute Stimmung eigentlich als Steilvorlage für die erste Auktion für Gegenwartskunst hätte dienen müssen, wurde die erwartete Hausse zumindest teilweise durch die politischen Geschehnisse in den USA konterkariert: Die Turbulenzen rund um das Weisse Haus, die Vorzeichen einer möglichen Staatskrise, schickten den Dow Jones am Mittwoch auf Talfahrt und sorgten nur Stunden später auch im Rockefeller Center für spürbare Verunsicherung. Dass die Ergebnisse mit insgesamt fast 450 Millionen Dollar trotzdem derart stark waren, musste umso mehr ermutigen; gleichzeitig bleiben die Risiken in einer fragilen Weltlage allgegenwärtig.

Von übergeordneter Präsenz zeigten sich bei Christie's dann auch zwei grosse Namen der Nachkriegskunst: Cy Twombly und Francis Bacon. Beide waren mit klassischen Arbeiten vertreten, die überdies marktfrisch zum Aufruf kamen. Und nicht nur, dass Twomblys Gemälde «Leda and the Swan» seit über 25 Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen war – es war auch in einem Zustand, als ob die Leinwand gerade erst das Atelier verlassen hätte. Zudem befindet sich sein Pendant, ebenfalls entstanden 1962, im New Yorker MoMA, und so darf dann auch ein Preis von 52 Millionen Dollar nicht weiter überraschen. Nur knapp darunter, aber immer noch über 50 Millionen, lag der Preis von Bacons erstem Porträt-Triptychon seines langjährigen Freundes George Dyer von 1963. Einst im Besitz des Schriftstellers Roald Dahl und nun eingeliefert von einem französischen Sammler, hatte das Werk trotz dem stolzen Preis beim Auktionshaus etwas höhere Erwartungen geweckt.

Mit 12,5 Millionen Dollar am oberen Ende der Taxe abschneiden konnte hingegen Philip Gustons spätes Grossformat «Painter at Night». Trotz beständig steigenden Preisen scheint die Bedeutung des Amerikaners, der vor allem bekannt ist durch seinen abrupten Bruch mit der abstrakten Malerei, beim breiten Publikum noch immer nicht recht angekommen. Ausstellungen wie «Philip Guston and the Poets», die derzeit parallel zur Biennale in Venedigs Accademia zu sehen ist und zu den Höhepunkten des dortigen Kunstsommers zählt, dürften der Rezeption nur förderlich sein.

Einst begehrt, dann verschmäht, jetzt wieder zunehmend gefragt sind dafür Maler der achtziger Jahre wie etwa Eric Fischl – oder aber David Salle. Dessen Leinwand «Frontmen» brachte denn auch glatt das Doppelte der Taxe und schnitt bei 583 000 Dollar ab. Ein Bild von Nachwuchsstar Mark Grotjahn (geb. 1968) sprang sogar auf einen Wert von 16,7 Millionen Dollar.

Schliesslich zog Sotheby's mit einem Werk Jean-Michel Basquiats nach – und dieses stellte alles in den Schatten: Mit 110,5 Millionen Dollar erzielte es den höchsten Preis, der jemals für die Arbeit eines US-Künstlers berappt wurde, und ist nun überhaupt das teuerste Kunstwerk, das nach 1980 entstand. Der Einlieferer hatte das Grossformat eines schwarzen Schädels vor blauem Hintergrund einst für 19 000 Dollar erworben. Als Käufer hingegen entpuppte sich schon bald nach dem bejubelten Zuschlag im Saal per Instagram der japanische Unternehmer und Milliardär Yusaku Maezawa.

Tillmans und Doig

Bei derartig hohen Werten muss natürlich alles andere verblassen – und dennoch bleibt festzuhalten, dass auch die restliche Session recht munter verlief. Lediglich zwei der fünfzig Lose gingen zurück. Gemälde junger Maler wie Jonas Wood oder Njideka Akunyili Crosby erzielten allesamt Millionenwerte, während die abstrakten Fotografien von Wolfgang Tillmans aus der «Freischwimmer»-Serie ihre Erfolgsserie fortsetzen konnten. Ein Exemplar von 2004 kam am Donnerstag auf immerhin 660 000 Dollar, sicherlich beflügelt von Tillmans' grosser Tate-Retrospektive in London sowie der anstehenden Schau in der Fondation Beyeler in Basel.

Erfolgreich war dann auch die Auktion für zeitgenössische Kunst bei Phillips, wo immerhin 110 Millionen Dollar zu Buche schlugen. Hier richteten sich alle Blicke auf den Künstlerstar Peter Doig, dessen Gemälde «Rosedale» mit 28,8 Millionen einen weiteren Rekord einfahren konnte.