Mit dem Schlimmsten rechnen

Das letzte Taktlos-Festival unter der Leitung Fredi Bosshards vereint filigranen Kammerjazz und brachialen Hardrock. Der Freitagabend wurde je lauter, desto schlechter.

Florian Bissig
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Samuel Blaser: ein virtuoser Solist und hellhöriger Begleiter. (Bild: pd)

Samuel Blaser: ein virtuoser Solist und hellhöriger Begleiter. (Bild: pd)

Eine Ära geht zu Ende. Ein Dritteljahrhundert lang hat die Fabrikjazz-Initiative um Fredi Bosshard das Taktlos-Festival betreut und sein Publikum stets aufs Neue herausgefordert mit Abseitigem aus Nische und Underground. Ab nächstem Jahr soll ein neues Konzept greifen, das der Verein «unerhört!» verantwortet. Für ein letztes Mal aber bleibt alles beim Alten.

Besonders gut vertreten sind heuer skandinavische Musiker. Ausserdem stehen, finanziell keine Selbstverständlichkeit, grössere Formationen wie Oktette und Nonette auf dem Programm. Musikalisch muss am Taktlos immer mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Das ist Teil des Deals – die Kehrseite waghalsiger Entdeckerlust, die das Festival ausmacht.

Der 100. Taktlos-Abend

So verhält sich das alles auch am Freitag, dem 100. Spieltag der Festivalgeschichte. Das Eröffnungsset obliegt dem jurassischen Posaunisten Samuel Blaser, der im Trio mit dem Gitarristen Marc Ducret und dem Schlagzeuger Peter Bruun eine filigrane Kammermusik präsentiert. Zwischen raffiniert verschlauften Themen mutet die Improvisation zunächst ganz frei an, doch beim näheren Hinhören wiederholen sich die Muster.

Entweder setzen Blaser und Ducret ihre Phrasen-Schnipsel gemeinsam in dynamische Steigerungen, oder sie wechseln sich in den Rollen von Solist und Begleiter ab. Dabei erweist sich vor allem der Bläser als hellhöriger Begleiter, der sich aus den Clustern und Schlieren der Gitarre jene Töne herausfischt, die er umspielen will. Mit traumwandlerischer Sicherheit unterstützt dazu der Schlagzeuger noch den geringsten Akzent seiner Mitmusiker, als entspränge die gesamte Musik seiner eigenen Einbildungskraft.

Nachdem das Samuel Blaser Trio vorführte, wie sich Einzeltöne zu einem Ensembleklang fügen, machte das schwedische Lisa Ullén Quartet das Gegenteil. Von Schlag eins an brodelte die Band im Tutti, aus dem sich erst allmählich einzelne Stimmen schälten: zunächst die der Leaderin Ullén am Flügel, später jene des famosen Posaunisten Mats Äleklint. Am Mikrofon vorbei spielte der blonde Bär die Verstärkeranlage mit seinem schmetternden Fortissimo glatt an die Wand. Doch Äleklint kennt auch feine, warme Töne und lyrisch-melodiöse Linien, die er nun mit dem von Nils Ölmedal gestrichenen Kontrabass fast zu verschmelzen vermochte.

Zeit für den Gehörschutz

Hatte sich die Dynamik von Blaser zu Ullén von piano auf mezzoforte gesteigert, so setzte das norwegische Hedvig Mollestad Trio sogleich mit einem Forte-Fortissimo ein. Nun wurde es nicht nur Zeit für den Gehörschutz, nun hatte man einen der geradezu obligaten Taktlos-Abstürze zu gewärtigen: Nicht die brutale Lautstärke oder die allzu knappen roten Cocktailkleider der Gitarristin Mollestad und der Bassistin Ellen Brekken irritierten, sondern die unergiebige musikalische Performance.

Der kernige Rock-Sound mit einigen punkigen oder psychedelischen Akzenten vermag vielleicht eine Kneipe in Feierstimmung zu versetzen. Doch Freunde und Freundinnen von «waghalsiger Musik zwischen den Genres und abseits des Mainstreams», welche das Taktlos-Festival bedienen will, blieben, abgesehen vom Trommelfell, gänzlich unterfordert.

Risiken und Nebenwirkungen

Das Publikum harrte indessen artig aus, bis der Abend aus war. Allzu gross – wie meistens in den letzten Jahren – war es ohnehin nicht. Die Zahlen zu verbessern, dürfte ein Anliegen der neuen Verantwortlichen sein, in deren Hände Fredi Bosshard nun das Taktlos-Festival legt. Es bleibt zu hoffen, dass die Nachfolger dem eigenständigen Charakter des Festivals verpflichtet bleiben – dass der Sinn fürs Entlegene, Disparate und für jene Risiken, die gelegentliche Bruchlandungen einschliessen, nicht der Trägheit etablierter Traditionen und Szenen geopfert wird.

Freitag, 5. Mai, Zürich, Rote Fabrik.