Comeback der Eleganz

Der kühle, skandinavische Stil bekommt Konkurrenz. Neu lockt die Möbelbranche mit Goldglanz, edlem Marmor, Samt und Art-Déco-Anleihen, wie ein Besuch des Salone del Mobile in Mailand gezeigt hat.

Andrea Eschbach
Drucken

Zu prunkvoll, zu prächtig, zu prätentiös: Diese Vorurteile begleiteten das Material Samt in den vergangenen Jahrzehnten. Doch nun ist das feine Gewebe zurück. Die Mode hat es – wieder einmal – vorgemacht. Designer wie Alessandro Michele von Gucci, Stella McCartney oder Valentino schickten ihre Models in Samt-Looks über den Laufsteg. Nun schmückt der üppig-weiche Stoff auch Möbel. Der Trend kündigte sich auf der Kölner Möbelmesse IMM und der Pariser Maison & Objet im Januar an, nun prunkte er auch vergangene Woche auf dem Salone del Mobile in Mailand.

Der Spanier Jaime Hayon entwarf mit der von einer bauchigen Silhouette geprägten Linie «Vuelta» für Wittmann eine samtene Möbelkollektion, die an die Vorbilder der Wiener Moderne anknüpft. (Bild: pd)

Der Spanier Jaime Hayon entwarf mit der von einer bauchigen Silhouette geprägten Linie «Vuelta» für Wittmann eine samtene Möbelkollektion, die an die Vorbilder der Wiener Moderne anknüpft. (Bild: pd)

In unseren politisch unsicheren Zeiten scheinen Materialien wie Samt einen Ankerpunkt zu setzen. Die Stil-Offensive auf samtenen Pfoten gibt sich dabei vielfältig. Beim Hersteller Rolf Benz beispielsweise ist sie von klarem und schnörkellosem Design begleitet und besticht in den Farben Nachtblau und Burgund. Dann wieder kommt sie ganz üppig daher: Der spanische Tausendsassa Jaime Hayon entwarf für den österreichischen Hersteller Wittmann gleich eine ganze Möbelkollektion, die an die Vorbilder der Wiener Moderne anknüpft.

In den Sofas und Sesseln der Linie «Vuelta» trifft eine bauchige Silhouette auf ein graziles Bugholzgestell. Beim Shooting Star Cristina Celestino zeigt sich das Material in seiner femininsten Form und in pudrig-pastellfarbenen Tönen. Für die Nilufar Gallery fertigte die Mailänder Designerin das Sofa «Visiera», dessen üppige Rücken- und Sitzflächen von einer Spange aus Messing zusammengehalten werden.

Marmor für die Ewigkeit

Für Cristina Celestino sind Details wie diese ebenso wichtig wie Humor. «Etwas Ironie ist in meinen Entwürfen immer dabei», erklärt sie. In Mailand präsentierte sie auch die Tischleuchte «Alice» für die italienische Marmormanufaktur Budri – edler Stein in Form eines überdimensionalen Rings. Wie Samt erlebt auch Marmor ein Revival: Der massive Werkstoff war eine Zeitlang aus der Mode gekommen, doch nun ist er um so häufiger zu sehen. So zeigte der Zürcher Designer This Weber bei Rolf Benz den Esstisch «966», bei dem eine Tischplatte aus Carrara-Marmor auf einem Y-förmigen Aluminiumfuss ruht.

Die Mailänder Designerin Cristina Celestino fertigte für die Nilufar Gallery das Sofa «Visiera», bei dem sich das Material in seiner femininsten Form und in pudrig-pastellfarbenen Tönen zeigt. (Bild: pd)

Die Mailänder Designerin Cristina Celestino fertigte für die Nilufar Gallery das Sofa «Visiera», bei dem sich das Material in seiner femininsten Form und in pudrig-pastellfarbenen Tönen zeigt. (Bild: pd)

Auf Materialmix setzt auch der tschechische Leuchtenhersteller Brokis. Die Tischleuchte «Macaron» zollt der Schönheit des kristallinen Gesteins Tribut, indem sie es in zwei einander gegenüber liegenden Kuppeln aus filigranem, mundgeblasenem Glas zur Schau stellt. Die Art-Direktorin von Brokis, Lucie Koldova liess sich dafür von Baiser-Gebäck inspirieren. Verborgen in einem eleganten Marmorfuss, wirft die Lichtquelle ihr Licht aufwärts auf die zentrale Onyx-Platte und lässt die darin enthaltenen geschwungenen Chalzedon-Adern erstrahlen. Die sowohl im Halbedelstein als auch im Glas enthaltenen Unregelmässigkeiten machen aus jeder Leuchte ein Unikat.

Auf der letzten Kölner Möbelmesse erlebte bereits der Barschrank ein Revival, nun ist auch der Paravent wieder da. Dieses in Vergessenheit geratene Möbelstück entdeckte beispielsweise Sebastian Herkner für sich. Der gefragte deutsche Designer stellte in Zusammenarbeit mit dem Kunsthandwerker Lucio Doro den Paravent «Opium» vor, der viel Glanz in die Wohnung bringt. Goldfarbene Scharniere verbinden die sanft abgerundeten Flächen des Raumteilers, die dank zahlreicher Lackschichten in Rosé- und Orange-Töne schimmern.

Das Meisterstück ist Teil des Projektes «Doppia Firma», das Kunsthandwerker und Designer zusammenbringt. Einen Paravent ganz aus Glas fertigte das japanische Designteam Nendo für Glas Italia. Der Entwurf «Fragment» wird aus speziellen Gläser hergestellt, die ein Verwirrspiel aus Spiegelreflexen und Transparenzen schaffen.

Einen «Fragment» genannten Paravent ganz aus Glasrealisierte das japanische Designteam Nendo für Glas Italia. (Bild: pd)

Einen «Fragment» genannten Paravent ganz aus Glasrealisierte das japanische Designteam Nendo für Glas Italia. (Bild: pd)

Hommage ans Art Déco

Die neue Lust an der Eleganz rückt auch Wohnaccessoires ins Licht: Die wieder salonfähig gewordene Lust am Dekorieren stillt die Sehnsucht nach Idylle und Heimeligkeit – gern auch in sonst sachlicher Atmosphäre. Neben Spiegeln feiern vor allem Vasen ein grosses Comeback. Das Istanbuler Label Nude präsentierte exquisite Vasen, Gläser und Karaffen im Palazzo Litta. In der Vasen-Serie «Layers» schachtelte die türkische Designerin Defne Koz dafür drei Formen in unterschiedlichen Farbtönen ineinander – so simpel wie sophisticated.

Dekorative Noblesse war schon im Art déco en vogue. Die Epoche, geprägt von edlen Materialien, elegant geschwungenen Formen und sinnlicher Ornamentik, wird derzeit von Designern neu befragt. Francesco Librizzi zeigte bei dem Leuchtenhersteller FontanaArte die skulpturale Leuchte «Setareh», die sichtlich von Pietro Chiesas phantastisch-surrealistischen Entwürfen der 1930er Jahre inspiriert ist.

Eine satinierte Glaskugel entfaltet in einer Rahmenstruktur aus vergoldetem Metall eine exakt ausbalancierte Wirkung. Auch beim italienischen Hersteller Arper setzt man auf eine reduzierte Lesart des geometrischen Art déco, frei von Ornamentik. Das Designerduo Alberto Lievore und Jeanette Altherr hat die Stuhlkollektion «Arcos» entworfen. Stuhl, Lounge-Chair und Sofa wirken aufgrund ihrer Konstruktion aus Aluminiumspritzguss und ihres zugleich die Armlehnen bildenden Gestells ebenso prägnant wie elegant: Zwei Kurvenformen, die an die Bögen klassischer Arkadengänge erinnern.

Ohne Zweifel: Der Minimalismus und der skandinavische Stil haben glamouröse Konkurrenz bekommen. Beim deutschen Hersteller Classicon kann man sehen, wie man die Eleganz vergangener Dekaden beschwören und dennoch ganz zeitgemäss sein kann. «Das Flüchtige und Schnelle in einer vom digitalen Umbruch geprägten Welt fördern die Sehnsucht nach dem Echtem und Beständigen», konstatiert Classicon-Geschäftsführer Oliver Holy. «Marmor, Spiegel, Messing erscheinen auf den ersten Blick opulent, sind aber tatsächlich Stein, unverfälschtes Glas und Metall. Ein verlässliches Stück, beständiger Begleiter.»

Francesco Librizzi kreierte für den Leuchtenhersteller FontanaArte die aus einer satinierten Glaskugel und einer vergoldeten Rahmenstruktur mit rotem Marmorsockel hergestellte skulpturale Leuchte «Setareh». (Bild: pd)

Francesco Librizzi kreierte für den Leuchtenhersteller FontanaArte die aus einer satinierten Glaskugel und einer vergoldeten Rahmenstruktur mit rotem Marmorsockel hergestellte skulpturale Leuchte «Setareh». (Bild: pd)

Mit dem Tisch «Pli» holt die französische Designerin Victoria Wilmotte ein Objekt von kristalliner Eleganz und verblüffender Geometrie in den Wohnraum. Die Knicke und Faltungen, die dem Möbel seinen Namen geben, lassen den Edelstahlfuss wie einen überdimensionalen geschliffenen Edelstein erscheinen. Die Farbversionen des Tisches ergeben sich aus einer speziell entwickelten, unterschiedlich langen speziellen Oberflächenbehandlung, die den Edelstahl grün, blau, bronzebraun oder schwarz schimmern lässt. Die von unten lackierte Glasplatte ist farblich darauf abgestimmt.

Comeback der Eleganz

Auch Gold bringt wieder Glamour in die heutige Lebenswelt. Doch hier muss man bei der Dosierung Fingerspitzengefühl walten lassen, um nicht à la Donald Trump wie einst der Sonnenkönig von Paris zu residieren: Während Trumps Penthouse an der Fifth Avenue in Manhattan ein opulentes Blendwerk aus 24-karätigem Gold, edlem Marmor und funkelndem Kristall ist, lautet die Devise bei den neuen Entwürfen aus Mailand eher «Less is more».

Aus zarten goldfarbenen Ketten besteht Ryosuke Fukusadas Hängeleuchte «Alysoid». Der Name ist Programm: Der Begriff aus der Geometrie bezeichnet die Kettenlinie, jene Kurve, die eine an ihren Enden aufgehängte Kette aufgrund ihres Gewichts erzeugt. Am «Stay Daybed» für das Londoner Label Sé scheiden sich die Geister – glamourös oder kitschig, edel oder doch zu viel des Guten?

Auf einem feinen Gestell ruhen die lederne Liege- und Rückenfläche – ein Traum in Gold und Rosa. Mit betont femininen Entwürfen wie diesem balanciert die Slowenin Nika Zupanc haarscharf auf schmalem Grat – mit Erfolg, gehört doch auch die Grande Dame des Mailänder Designs, Rossana Orlandi, zu ihren Förderern. «Neue Möbel brauchen wir nicht mehr. Es gibt doch alles», erklärte sie in einem Interview mit dem deutschen Magazin «Architektur & Wohnen». «Heute sucht man die Bühne für sein Leben. Und die Möbel sind die Elemente der Kulisse.»