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  3. In Berlin wird George Condo mit Picasso gekreuzt. Ein hartes Duell

Kultur Picasso vs. Condo

Wer ist denn hier bitteschön gestört?

Wenn das Gebiss unter der Nase hängt: George Condos "The Chinese Woman" von 2001 Wenn das Gebiss unter der Nase hängt: George Condos "The Chinese Woman" von 2001
Wenn das Gebiss unter der Nase hängt: George Condos "The Chinese Woman" von 2001
Quelle: Courtesy Sprüth Magers und Skarstedt © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: © George Condo 2016
Im Museum Berggruen in Berlin treffen die brutalen Portraits des amerikanischen Malers George Condo auf Pablo Picassos zersplitterte Gesichter. Das Duell kennt keinen klaren Sieger.

Vielleicht ist es ja so: Je mehr der Durchschnittsmensch mit der Lächelmaske seiner Selfiepose verschmilzt, desto wirkungsvoller erscheinen die Grimassen, die er erfindet, all die gut- oder bösartigen Manipulationen an Gesicht und Körper. Anders wäre die Konjunktur der Wichtel und Wichtigtuer kaum zu erklären, die der bedürftige Alltag aus der Fantasy-Welt importiert.

Nur den Malern wird noch gerne eine besondere Zuständigkeit für die Bewahrung des unverwüstlich Schönen attestiert, was natürlich ein Irrtum ist, denn niemand hat dem gewachsenen Antlitz so viel Gewalt angetan wie die Kunst. Und jetzt betritt man das noble Museum Berggruen in Berlin und ist schon nach ein paar Treppenstufen in Frankensteins Labor.

Selfie-Monster: George Condos "Multi-Colored Pod" von 1996
Selfie-Monster: George Condos "Multi-Colored Pod" von 1996
Quelle: Courtesy Sprüth Magers und Skarstedt © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: © George Condo 2016

George Condo. Bei der Ausgestaltung über- oder unterirdischer Dunkelräume mit monströsem Personal war der amerikanische Maler schon immer hoch innovativ. Tatsächlich hätte er auch einen passablen Hausmeister in Mittelerde abgegeben, wo unter den glupschäugigen und triefnasigen Bewohnern seine depperte „Chinese Woman“ nicht weiter aufgefallen wäre.

Doch nun steht man ihr wieder einmal gegenüber, und wie ihr das Gebiss unter dem Auge hängt, das ist schon, als lauerte ein Raubtier, zu dem man Abstand hält, auch wenn es einem keine Albträume mehr beschert.

Blasphemie oder Befreiung von Zwangsvorstellungen?

Schwer zu entscheiden, was in Condos ziemlich unvergleichlichem Werk Ernst ist und was Unernst, Bedeutung und Unterhaltung, Schwarze Romantik und Comedy, Satyricon und Passionsspiel. Überaus listig entzieht sich diese Malerei der Eindeutigkeit, lässt alles in gefährlicher Schwebe. So richtig gewöhnen wird man sich an die offensichtlich schwer gestörten Bilder-Insassen wohl nie.

Und wem die Giraffenhalsbesitzerin namens „Woman with Cross“ ein wenig blasphemisch vorkommt, der braucht sich seiner Empfindungen wahrhaft nicht zu schämen. Condo-Ausstellungen sind verlässliche Zumutungen. Und das Gelächter, das einen dann und wann vor den Bildern befällt, ist auch wie Befreiung aus der Zwangsvorstellung, die Fratzen könnten wie in einem Stephen-King-Roman irgendwann vor unseren Fenstern hängen.

Museum Berggruen, Berlin George Condo Woman with Cross, 2004 Öl auf Leinwand, 40,6 x 30,5 cm Sammlung des Künstlers, New York Courtesy Sprüth Magers und Skarstedt © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: © George Condo 2016
Blasphemieverdacht erwünscht: George Condos "Woman with Cross" von 2004
Quelle: Sammlung des Künstlers, New York Courtesy Sprüth Magers und Skarstedt © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: © George Condo 2016

Nun hat der Mann seine bizarren Paraphrasen auf Altmeister und Comic überall zwischen den Leuchttürmen der hehren Sammlung platziert. Picasso, Cézanne, Matisse, Klee, Giacometti. „Condo Confrontation“. Dass er hier unter Seinesgleichen wäre, kann man schwerlich sagen. Aber irgendwie sieht es doch so aus.

Wobei es gar nicht entscheidend ist, wie explizit da aufeinander Bezug genommen wird. Was wäre auch bewiesen, wenn man zeigen könnte, wie gelehrig der amerikanische Maler am kubistischen Picasso Mass nimmt? Es tut das ja nicht wirklich. Er malt nur im Bewusstsein, dass man als Maler immer und unausweichlich die halbe Bildgeschichte vor Augen hat.

Museum Berggruen, Berlin // Pablo Picasso Sitzender Harlekin, 1905 Aquarell und Tusche auf Malpappe, 57,2 x 41,2 cm Staatliche Museen zu Berlin, National-galerie, Museum Berggruen bpk/Nationalgalerie, SMB, Museum Berggruen / Jens Ziehe © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Schaut nur traurig zu: Pablo Picassos "Sitzender Harlekin" von 1905
Quelle: bpk/Nationalgalerie, SMB, Museum Berggruen / Jens Ziehe © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Nie fängt einer bei Null an. Vor jedem neuen Bild halten all die Bilder Wache, die man irgendwann gesehen hat, und die aus welchen Gründen auch immer geblieben sind. Das ist der eigentliche Malgrund. Man kann ihn aufwühlen oder zuschütten, es gibt die unterschiedlichsten Reaktionsmuster – von der konstruktiven Auseinandersetzung über die polemische Abwehr bis zur narzisstischen Leugnung.

Er lässt die Puppen tanzen

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George Condo hat den intelligenteren Weg gewählt. Er spielt mit seinen Ahnen, lässt sie wie Puppen an seinen eigenen Fäden tanzen, stellt sich neben Picasso, ohne auf- oder herabzuschauen. „Meine Gemälde“, hat er einmal gesagt, „ sehen aus wie Guston trifft Monet in einem Picasso-Format in Cézannes Welt, aber letztlich geht es für mich lediglich um das Wissen der Malerei.“

Malerei als Wissensarchiv, wo man wie von der Samenbank das kostbare genetische Material bezieht. Freilich hat man auch was hinzutragen. Inmitten nämlich der mal kubistischen, mal neoklassischen, mal surrealen Picasso-Nachbarschaft wirken die Condo-Eindringlinge wie Animatoren.

Und es ist, als bekäme sie unversehens lauter Sprünge, die museale Starre, in der der Weltmeister aller Klassen ruht, und die Schutzschicht, die sich um ihn gebildet hat, fiele ab, und die „Dora Maar mit den grünen Fingernägeln“ erwachte erneut zur Femme fatale, die sich von ihrem geliebten Picasso nicht zähmen lässt.

Wilderer in der Kunstgeschichte

Das ist die eigentlich aufregende Erfahrung, wie George Condo, dieser nimmermüde Wilderer in der Kunstgeschichte, seinen alten Kollegen zu einem posthumen Kräftemessen anstachelt. Berggruens grandiose Picasso-Sammlung lässt ja das gesamte Werk Revue passieren. Aber noch nie kamen uns die Abgesandten aus allen Phasen so vital vor, neu belebt vom Gast aus New York.

Pablo Picassos „Dora Maar mit grünen Fingernägeln“ von 1936 – und George Condos „Windswept Figure“ von 2007
Macht den Monstern schöne Augen: Pablo Picassos "Dora Maar mit grünen Fingernägeln" von 1936
Quelle: bpk/ Nationalgalerie, SMB, Museum Berggruen/ Jens Ziehe/ Succession Picasso/ VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Viel arrangieren hat man also nicht müssen. Es geht der Hängung auch nicht um stimmige oder irgendwie plausible Korrespondenzen. Die fremden Bilder hängen nebeneinander oder gegenüber – nicht wie zwei, die sich austauschen, sondern wie zwei, die angesichts der Stärke des Anderen Gefallen an der eigenen Stärke finden.

Wobei Condo keineswegs nur mit seinen heftigen Erkennungsbildern vertreten ist. Er hat das ornamentale, patternähnliche Malen geradeso gut drauf wie die obsessive Figuration. Wer aber Masche für Masche die vermeintlich ungegenständlichen Arbeiten absucht, entdeckt überall Figuren-Reste, die wie Spinnen im Netz hängen. „Kein Bild", hat Condo im Gespräch einmal gesagt, „da bin ich ziemlich sicher, kann so abstrakt sein, dass es nicht als sicheres Figurenversteck taugt.”

Condo hat Picasso etwas zu sagen

Was die Berliner Kuratoren aus dem Condo-Lager geholt haben, das ist kaum einmal zu sehen gewesen. Und es wirkt naturgemäß besonders stark, wo die Umgebung nicht gar so furios mithalten kann. Der Versuch, den Maler in all den 25 Räumen heimisch werden zu lassen, kann nicht ganz funktionieren.

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Cézanne, Matisse, Klee sind ehrenwerte Nachbarn, aber keine wirklichen Sparringspartner. Allenfalls Giacometti teilt jene Energien, die auch Condo hin und her treiben – vom Erbärmlichen ins Erhabene, vom Grotesken ins Gefährliche, vom Debilen ins Dämonische, vom Komischen ins Katastrophische.

Museum Berggruen, Berlin George Condo Windswept Figure, 2007 Öl auf Leinwand, 50,8 x 40,6 cm Sammlung des Künstlers, New York Courtesy Sprüth Magers und Skarstedt © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: © George Condo 2016
Sparringpartner für Picasso: George Condos "Windswept Figure" von 2007
Quelle: bpk/ Nationalgalerie, SMB, Museum Berggruen/ Jens Ziehe/ Succession Picasso/ VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Zu lernen gibt es nichts von den mehr oder weniger funkelnden Konfrontationen. Es ist ganz einfach wunderbares Museumstheater - so wie wenn Mozarts „Figaro“ und Rossinis „Barbiere“ auf einer Bühne gegeben würden, und man nicht mehr und nicht weniger erführe, als dass beide die Erwartung ans Amusement gleich gut bedienten. Die Konsonanzen und Dissonanzen in dieser fabelhaften Bilder-Aufführung (Regie Felicia Rappe und Udo Kittelmann) sind schlicht umwerfend.

Schräge Vögel und misstrauische Spezies

Natürlich ließe sich einwenden, einer wie Picasso braucht niemanden neben sich. Und das Umgekehrte ist ja auch richtig, dass Condo ohne seine Wahlväter eine sichere Nummer bleibt. Aber es hat vielleicht schon der riskanten Bildkörpernähe bedurft, um das zwischen Snoopy-Gutmütigkeit und Killerclown schwankende Spektakel vollends zu verstehen.

Condos schräge Vögel, das wird unter Picassos Obhut umso anschaulicher, sind eine überaus misstrauische Spezies. Lustvoll verweigern sie sich der alten Moderne-Regel, die das eigene Werk immer erst dort beginnen lässt, wo die anderen aufgehört haben. Picasso hat’s schon gewusst, Condo weiß es geradeso gut, wie man in alten Kostümen das eigene Stück spielt.

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