Fangen wir mal mit dem guten Zweck an. Dem dient der Film, um den es im Folgenden gehen soll. Und er wäre nicht weiter erwähnenswert, würde er nicht an einer Krankheit leiden, von der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen relativ viele Filme betroffen sind, gegen die aber dennoch offensichtlich noch kein Mittel gefunden ist. Man könnte sie Morbus Themenabend nennen.
Daniel Harrich ist ein ganz fabelhafter Rechercheur und Dokumentarerzähler. Er leuchtet in abgeschlossene Kammern, finstere Hinterzimmer der deutschen Gesellschaft, aus denen es einigermaßen verlässlich übel riecht.
Investigativer Spielfilm, fast ein eigenes Genre
2013 hat er es mit seinem Spielfilm „Der blinde Fleck“ und der anschließenden Dokumentation geschafft, dass die Ermittlungen um das Münchner Oktoberfestattentat wieder aufgenommen wurden.
2015 bekam er den Grimmepreis für die Dokumentation, in der die Fakten zugeliefert und die Debatte weitergeführt wurde, die sein Waffenlobby-Drama „Meister des Todes“ ankurbeln wollte.
„Gift“ ist Harrichs neuer Beitrag für das Genre, das er mehr oder weniger selbst erfunden hat – investigativer Spielfilm. Mehrere Jahre hat er mit seinem Team recherchiert.
Es geht um die Abwege der Pharmaproduktion, um Medikamentenfälschungen, die Vernetztheit zwischen Politik und Pharmaindustrie und Wissenschaft und jenen offiziellen Ermittlungsorganisationen wie Interpol, die kriminelle Medizinmachenschaften eigentlich international unterbinden sollen.
Um die Macht der Lobbyisten geht’s, die bis hinein in die FDA reicht, die Medikamenten-Zulassungstelle der Vereinigten Staaten, das System von pharmakologischen Subunternehmen und Reimporteuren, um jene Verkettung von Produktionsaufträgen, an dessen Ende keiner mehr wirklich verantwortlich gemacht werden kann.
Die Folgen von Kopien werden untersucht und vorgeführt, von Verpanschungen, Vergiftungen von Präparaten gerade für das Gesundheitssystem der Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen die Medikamente hergestellt werden und das man unter anderem deswegen guten Gewissens kaum mehr Gesundheitswesen nennen mag.
Allein in Deutschland gelten ein Prozent der Medikamente als gefälscht, was einer Zahl von 14 Millionen Präparaten entspricht. Die Präparatemafia ist – das stellt Harrich in seinem neuen Themenabend heraus – für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich. Medikamentengebrauch, das nimmt man mit aus „Gift“ und weiß nicht wo man damit hin soll, ist mancherorts und vielleicht sogar bei uns, eine Art Russisch Roulette.
In manchen Ländern nicht mal das, da kann man nur hoffen, dass das Zeug, was in dem Präparat, dessen Name auf der Packung steht, schieres Gift ist und nicht Material, das einen, wenn man Typhus hat oder Cholera oder Krebs noch kränker macht, als man ist.
Soll niemand sagen, er habe es nicht wissen können
Damit das Material, das Harrich gesammelt hat, auch die richtige Wirkung entfaltet, hat er diesmal eine ganz besonder großflächige Kampagne gestartet. „Gift – Der Film“ wird nicht nur flankiert mit der wie bei Harrich üblich großartigen, scharf geschnittenen Dokumentation.
Harrichs Sachbuch „Pharma Crime“ erscheint parallel. Es gibt Podiumsdiskussionen, die von den ARD-Rundfunksendern mitgeschnitten werden, es gibt eine Web-Dokumentation, die Harrich mit Patricius Mayer produziert hat und ein Web-Special.
Es soll am Ende niemand sagen können, er habe nicht gewusst, was der da schluckt, wenn er was schlucken muss, und welch ein mafiöses System nicht gerade minderheitlich hinter seiner Produktion steckt.
Soweit so gut, so verdienstvoll. Jetzt müssen wir eigentlich über „Gift“ den Film sprechen. Der ist so gut gemeint, dass geradezu ein Dutzend der derzeit meistbeschäftigten deutschen Schauspieler sich redlich Mühe geben, in den Bildern des großartigen Bildgestalters Gernot Roll nicht ganz so blass auszusehen, wie die Figuren angelegt sind.
Was ihnen mit höchst unterschiedlichem Erfolg gelingt. Wofür sie wiederum nicht unbedingt verantwortlich sind.
Dass es gleich am Anfang höchst malerisch gewittert, ist schon mal kein gutes Zeichen. Später gibt es passend zu diversen Peripetien noch richtigen Monsunregen. Aber wir greifen vor.
Unschuldig. Er produziert ja nichts
Harrich erzählt die Geschichte des Pharma-Unternehmers Günther Kompalla (Heiner Lauterbach). Der kann beruhigt sagen, dass er unschuldig ist, weil er ja gar nichts produziert. Weil er Medikamente nur reimportiert.
Zum Teil mit 6000 Prozent Gewinn. Gibt er zu, als die Interpol-Agentin Juliette Pribeau (Julia Koschitz) vor ihm sitzt, weil in Tschechien unterm Gewitter ein relativ ordentlich aufbereitetes Lager falscher Medikamente gestürmt worden ist.
Ein Filmemacher weiß zuviel
Mit Pribeau an der Spitze. Deren Chef wurde beim Eingriff getötet. Das könnte nun einen ganz spannenden Thriller abgeben: Interpol jagt durchs Geflecht der Medikamentenverbrecher. Tut es aber nicht.
Weil Harrich seinem eigenen Gift erlegen ist. Erstens weiß er zuviel, zweitens will er dieses Zuviel möglichst elegant in Dialogen unterbringen, was noch nie gut gegangen ist und in „Gift“ noch nicht mal halb gutgeht.
Drittens hängt er seinem Plot, damit es für den Zuschauer um Viertelnachacht sentimental begreifbar ist, eine derartige Menge Privatplonk der Figuren, Sentimentalität und Klischee um die Füße, dass der nurmehr humpelnd zwischen München, Mumbai und Zürich unterwegs ist.
Kompalla nämlich hat eine gute Tochter. Die ist mit ihrem indischen Freund, der reden muss wie ein Kellner im Tadj Mahal um die Ecke, was für sich schon erniedrigend ist, damit beschäftigt, die Welt im Slum von Mumbai zu retten.
Was ihr nicht gelingen will, weil – ahnen Sie es? – die Medikamente so schlecht sind. Ein Blick auf die Packung und Katrin (Louise Heyer) und Kiran (Arfi Lamba) wissen, ob echt oder falsch.
So hätten sie sich weiter entfremden können, der Pharmaverbrecher und die Gutemenschtochter, wäre Kompalla nicht nach einem Autounfall in der Klinik gelandet, wo ihm statt Schleudertrauma eine final entwickelter Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wird, wogegen keine noch so gefälschte Pille hilft.
Und weil er so allein und entfremdet nicht dahin scheiden will, reist er nach Indien. Und dort wird er – Sie ahnen es! – vom Saulus zum Paulus.
Eine indische Mutter als Kolateralschaden
Als nämlich Katrin an Typhus erkrankt und nur überlebt, weil Kompalla von seinem indischen Pharma-Mafia-Kumpel die echten Medikamente kriegt. Dass einer indischen Mutter dreier Kinder dieses Glück nicht zuteil wurde, gehört zu den Kollateralschäden des Drehbuchs.
Das will immer besonders aufgeklärt sein, immer anklagen, ist – relativ geschickt getarnt, aber doch deutlich – moralisch bis ins Mark, stolpert aber ständig in die eurozentrischen Fallen, die überall herum stehen und auf die es ja selbst hinweisen will.
Gern wird etwa optisch operiert mit der Blickachse „Wir Westler hier oben in unserm Glaskasten, ihr Inder da unten im Dreck“. So richtig raus aus der Perspektive kommt allerdings das ganze „Gift“ nicht. Macht sich manchmal auf geradezu zynische Weise das nachgestellte Elend zum Zwecke der Emotionalisierung zunutze.
Weil das Vater-Tochter-Dramolett nicht genug ist für den Katalog von Wissen, den Harrich abarbeiten muss, hat er um Katrin und Kompalla alle kriminalrelevanten Rollen gruppiert und leidlich in eine dramaturgisch sinnvolle Ordnung gebracht. Die Politik kommt eher am Rande vor, das hätte die neunzig Minuten dann wohl endgültig zum Platzen gebracht.
Maria Furtwängler darf versuchen, eine Cruella de Ville der Pharmabranche zu geben, Wissenschaftlerin, Strippenzieherin, Krisengewinnlerin aller Krankheiten dieser Welt, was ihr so wenig gelingt, wie eine Kommissarin in Hannover zu spielen.
Martin Brambach steckt als Pharmariesenchef im völlig falschen Anzug. Der einzige, dem es sichtlich Spaß macht den fiesen Banker zu geben, ist Ulrich Matthes.
Julia Koschitz hätte man die verfolgte, verjagte Agentin, der Harrich aus unerfindlichen Gründen auch noch eine Tochter angedichtet hat, die sie nicht sieht, weil die Mama Karriere machen will zur höheren Ehre der Volksgesundheit, gern erspart. Wenn Indien ist, wird Sitar gespielt. Der Regen fällt verlässlich, wenn die Dramaturgie es verlangt.
Geht schlecht aus. In gewisser Weise. Aber das wussten wir ja schon, als das Gewitter über Tschechien hing. Für Risiken und Nebenwirkungen von Themenabendspielfilmen brauchen Sie ab jetzt keinen Arzt oder Apotheker oder Fernsehkritiker zu fragen, lassen Sie’s einfach.