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Kultur Primavera Sound Festival

Das Coachella des kleinen Mannes

Primavera Sound Barcelona Primavera Sound Barcelona
Solaranlage und Mittelmeer: Die Markenzeichen des Primavera Sound Barcelona
Quelle: Primavera Sound Barcelona
Entspannt, geschmackvoll, direkt am Mittelmeer: Das Primavera Sound in Barcelona ist das Gegenprogramm zu den öden Massenevents in den USA und Deutschland. Ein Besuch beim schönsten Festival Europas.

Beim Primavera Sound in Barcelona, dem hippsten Festival Europas, kommt es auch zu solchen Szenen: Im Hörsaal des Naturkundemuseums inhalieren drei ältere russische Herren in schwarzen Kutten Tee und singen aus dem Kehlkopf. Das gehört durchaus zum Konzept.

Beim Primavera geht es nicht nur um Palmen, Strand und Instagram, sondern auch mal darum, einfach ein unverfälschtes Geräusch zu verstehen. Wer sich auf den aktuellen Stand in Sachen experimenteller Musik bringen will, der tut das am besten hier.

Für alle anderen haben die Booker dieses Jahr immerhin auch Arcade Fire, Bon Iver, Solange, Grace Jones und The xx nach Barcelona geholt.

Riesige Solaranlage

Das Primavera Sound Festival gibt es seit 2001, seit 2005 findet es im Parc del Fòrum statt, auf einem Gelände, das – ja, was eigentlich? Wenn man sich das Publikum und die Bühnen wegdenkt, bleibt im Prinzip nur eine graue Betonwüste übrig, mit vielen Treppen, diversen zwecklosen Konstruktionen, einer Art Amphitheater und der riesigen Solaranlage, die im Laufe der Zeit fast schon zum Symbol des Festivals geworden ist.

Links von ihr rauscht das Mittelmeer, rechts ist die Skyline von Barcelona und dazwischen bis zu 200.000 Menschen, die sich angesichts der alljährlichen Coachella-Hysterie ins Fäustchen lachen dürften: Hier bekommen sie ein gleichwertiges Aufgebot zum halben Preis, ohne dafür in die Wüste fahren zu müssen.

Pinke Stadt

Auch beim Primavera Sound gibt es VIP-Bereiche, aber eine spürbare Zwei-Klassen-Gesellschaft ist noch nicht entstanden. Hier geht es in erster Linie nicht ums Sehen und Gesehenwerden, sondern immer noch ums Zuhören.

Zum Auftakt verschickt die Festival-App in diesem Jahr eine verdächtige Push-Nachricht, die darauf hinweist, dass Arcade Fire, eigentlich erst für den übernächsten Tag eingeplant, ein Geheimkonzert spielen wollen. Wenn man davon Wind bekommt und die eigens dafür aufgebaute Bühne am anderen Ende des Fòrums findet, erlebt man einen der schönsten Auftritte des Festivals.

Die Band spielt auf einem Hügel einige ihrer größten Hits, während sich der Himmel um die Stadt pink färbt. Man fühlt sich fast ein bisschen an die Welttournee 2014 erinnert, bei der Arcade Fire einen Sommer lang die größte Band der Welt waren und auch beim Primavera ein denkwürdiges Headliner-Konzert spielen durften.

Qualvoller Trend

Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass das Publikum auf diese Weise überrumpelt wird. Am zweiten Abend stellt die schottische Post-Rock-Band Mogwai ein neues Album vor, und zum Abschluss des Festivals gibt das Schwester-Trio Haim sein Live-Comeback inklusive neuer Songs – beides, ohne dass man im Voraus davon Bescheid wusste.

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Damit, so scheint es, haben die Organisatoren ihr neues Steckenpferd gefunden. In den vergangenen Jahren lag der Fokus auf Konzerten, bei denen Künstler ein altes Album in voller Länge durchspielen. Dieser oft qualvolle Trend, der nicht mal vor den Drone-Doom-Helden von Sunn O))) haltmachte, scheint im Festivaljahr 2017 endlich ein Ende gefunden zu haben.

Primavera Sound Barcelona
Besser geht's nicht: Das Primavera Sound in Barcelona ist das Festival des Jahres
Quelle: Primavera Sound Barcelona

Der größte Star des ersten Abends wird aber nicht einfach aus dem Hut gezaubert: Solange Knowles, früher bekannt als kleine Schwester von Beyoncé, heute einfach nur als sie selbst, spielt die Songs ihres Album „A Seat At The Table“ mit einer Band, die den Soul der Platte genauso präzise wiedergibt wie die Tanzschritte der Choreografie.

Universell gültige Popmusik

Es ist nur wenige Wochen her, dass Solange mit einer eigens konzipierten Performance im New Yorker Guggenheim Museum aufgetreten ist. Dass die gleichen Stücke auch vor Zehntausenden Festivalzuschauern funktionieren, zeigt, was für eine großartige, universell gültige Popmusik Solange inzwischen schreibt. Sie wirkt majestätisch und doch nahbar. Sieben Jahre hat sie an ihrem Meisterwerk gearbeitet.

Wer danach in die elektronischen Folk-Fantasien von Bon Iver eintauchen möchte, muss im Grunde nur seinen Kopf um 180 Grad drehen: Beim Primavera Sound gibt es nicht nur eine Hauptbühne, sondern zwei, die gleich groß sind und sich gegenüberstehen.

Indem immer nur auf einer Bühne gespielt wird, soll sichergestellt werden, dass es weder lange Wartepausen noch große Menschentrauben vor den Bühnen gibt. Man kann die Headliner aus nächster Nähe sehen, ohne sich morgens früh schon an den Zaun ketten und den ganzen Tag vor sich hin dehydrieren zu müssen, es reicht eine gute halbe Stunde Vorlauf.

Respekt für die Musik

Für die Pausen gibt es neben einem Yachthafen eine kleine Festival-Exklave, die durch eine Brücke mit dem Rest verbunden ist. Hier gibt es einen Sandstrand, Palmen, größtenteils elektronische Musik und einen kleinen Sponsoring-Stand des „Baywatch“-Remakes, an dem man sich mit leicht bekleideten Damen und Herren in roter Bademode ablichten lassen kann.

Das Primavera-Publikum ist auffallend heterogen, was es eint, ist sein außergewöhnlicher Respekt für Musik: Egal ob gerade Shye Ben Tzur und The Rajasthan Express traditionelle Klänge Israels und Indiens miteinander vermischen oder die 79-jährige brasilianische Samba-Legende Elza Soares von einem Thron herab Geschichten aus den Favelas von Rio singt: Es herrscht fast immer andächtige Stimmung, und man sieht verhältnismäßig wenige Handys am Himmel.

So auch bei Grace Jones, die am letzten Abend auf einer der Hauptbühnen ein fantastisches Set spielt. Die rauchige Stimme der 69-Jährigen hält sich hervorragend. Jones rennt über die Bühne, macht Katzenposen, wechselt nach fast jedem Song Maske, Rock oder Perücke und trägt dabei anstelle eines Oberteils weiße Farbmuster auf dem Körper. Wer Tipps braucht, wie man im Pop würdig altern kann, sollte Miss Jones anrufen.

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