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  4. Tankred Dorst ist tot. Er war einer der erfolgreichsten deutschen Theatermacher

Bühne und Konzert Tankred Dorst ✝

Ihm ging es immer um Menschen, nie um Ideologien

Weltverbesserung war für ihn eine – vergebliche – Sache für Ideologen. Einfache Antworten gaben seine Stücke nie: Tankred Dorst (1925 bis 2017) Weltverbesserung war für ihn eine – vergebliche – Sache für Ideologen. Einfache Antworten gaben seine Stücke nie: Tankred Dorst (1925 bis 2017)
Weltverbesserung war für ihn eine – vergebliche – Sache für Ideologen. Einfache Antworten gaben seine Stücke nie: Tankred Dorst (1925 bis 2017)
Quelle: dpa
Er diente geradezu besessen dem Theater: Tankred Dorst war einer der erfolgreichsten, produktivsten Theatermacher in Deutschland. Jetzt ist Dorst im Alter von 91 Jahren in Berlin gestorben.

„Ich glaubte mich berufen, den Rahmen zu ändern, in dem Menschen leben.“ Diesen so schön klingenden, so hochmögenden Satz legte Tankred Dorst dem Maler Heinrich Vogeler in den Mund – als dessen Credo, in dem biografischen Drama „Künstler!“.

Also Lebensumstände ändern; viel besser freilich: sie sprengen. Noch in einem seiner letzten Stücke trug Tankred Dorst diesen Jedermann-Sehnsuchtsstoff in sein Theater. Mit durchaus anrührendem Nachdruck, vor allem aber mit einem wehen, bitteren Unterton. Denn Vogelers tragisch umflortes Leben endet in elender Vergeblichkeit.

Schon zu Beginn seiner großen Karriere schrieb Dorst (in dieser Zeitung): „Es heißt, die Figuren des Theaters müssten eine Katharsis durchmachen, irgendwie müssten sie am Ende anders sein als am Anfang. Das ist ein schönes Ideal. Aber ich sehe dafür im Leben keine Entsprechung.“

Ein heiterer, gut geerdeter Poet

Nein, dieser Mann glaubte sein ganzes Dichterdasein lang nicht an grundsätzliches Menschenumkrempeln; schon, weil es für ihn den „Menschen im allgemeinen“ überhaupt nicht gab. Weltverbesserung hielt er für eine – vergebliche – Sache von Ideologen.

Und so blieb er zeitlebens ein pessimistisch raunender, ein vielleicht gerade deshalb heiterer, bei all seinen fantasievollen Höhenflügen gut geerdeter Poet. Für Wolkenkuckucksheime war er viel zu sehr von dieser Welt.

Jetzt hat er sie verlassen; hochbetagt und bis zuletzt wachen Geistes an ihr teilhabend. Dabei wurde ihm, wie er unlängst gestand, „das Auf und Ab, das Vor und Zurück der Zeitläufte immer rätselhafter“. Tankred Dorst verstarb jetzt mit 91 Jahren.

"Merlin oder das wüste Land" war eines der meist-gespielten Stücke von Tankred Dorst. Es wurde 1981 in Düsseldorf uraufgeführt. Hier ist eine Szene aus einer Inszenierung 2011 im Hamburger Thalia-Theater
"Merlin oder das wüste Land" war eines der meist-gespielten Stücke von Tankred Dorst. Es wurde 1981 in Düsseldorf uraufgeführt. Hier ist eine Szene aus einer Inszenierung 2011 im H...amburger Thalia-Theater
Quelle: picture alliance / Christian Für/Picture Alliance

Der in der Öffentlichkeit stets sympathisch und gelassen auftretende, stattliche Herr mit dem imposanten, schlohweißen Wuschelkopf, gehörte mit seinen Halbhundert Stücken zu den am meisten gespielten, hoch geehrten Autoren. In seinem breit gefächerten Gesamtwerk verhalf der geistreich skeptische Fantast immer wieder gänzlich neuen Ichs zu kunstvollem Leben – es sind Flüchtlinge darunter, Schriftsteller, Maler, tolle Träumer, absonderliche Narren, verbissene Utopisten, politische Besserwisser oder wunderliche Querköpfe und Einsiedler.

Die Vielfalt menschlicher Individuen, ihr verzweifeltes, aberwitziges, tragisches oder auch komisches, heroisches oder gelassenes, immer aber Herz aufreißendes Bemühen, mit der Welt wenigstens irgendwie zurechtzukommen, was nicht selten auch im Scheitern Größe hatte, das alles macht Dorsts Werke für Bühne und Film so irritierend aufregend und packend.

Hinzu kommt ein Spezielles: Dorsts Versiertheit in Mythenfragen, seine dauerhafte Beschäftigung mit der mittelalterlichen Welt der Sagen und Legenden, mit dem er sich übrigens empfahl, noch als Achtzigjähriger auf Bayreuths Grünen Hügel zu klettern, um dort als Regisseur (dabei war Regie nie sein Hauptgeschäft) Wagners gigantische Phantasmagorie „Der Ring des Nibelungen“ zu inszenieren.

Ideologen führen Völker in die Hölle

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„Die Idealisten, Gralssucher, Gründer von Tafelrunden und idealen Staaten, von neuen Ordnungen und Systemen, die mit ihren Theorien Erlösung versprechen und das große Glück über die Menschheit bringen wollen – die führen am Ende ganze Völker geradewegs in die Hölle.“ So steht es, und ausgerechnet dem Teufel wird es zwischen die Zähne geschoben, in Dorsts 1981 in Düsseldorf uraufgeführtem Monumentaldrama „Merlin oder das wüste Land“.

Das opulenteste Opus der deutschen Nachkriegsdramatik, ein philosophisch-zivilisationskritisches Breitwandpanorama aus Mythos und Märchen, Ritter-Show und Minne-Lust, Grusical und Groteske, beschreibt in einer geradezu tollkühnen Materialschlacht die Geschichte vom Aufbau und Zerfall von König Artus‘ Tafelrunde. Eine Parabel für den letztlich ins Leere („in die Wüste“) führenden Lauf der Menschheit.

König Artus, der die Idee der Zivilisation gebar, wankt am Ende hinaus in die offene See, unfähig zu ertragen, was die Wirklichkeit aus der Idee werden ließ. Der Mythos wird zum Fluch, der Fluch aber auch zum Mythos.

Das Menschenleben bleibt ein Versuch, und es ist nicht an mir, die Eindeutigkeit der Welt zu beweisen.
Tankred Dorst

Der einzelne bemüht sich womöglich – in Grenzen – ums Besserwerden, bleibt jedoch letztlich ein am Ende unerklärliches Monster. Dorst, der erklärte „Lebensbeobachter“ lakonisch: „Das Menschenleben bleibt ein Versuch, und es ist nicht an mir, die Eindeutigkeit der Welt zu beweisen.“

Und auch in seinem tragikomischen Ritterstück „Parzival“ werden hinter der Maske des Mythos, also spielerisch verfremdend, Geschichten erzählt von ganz leibhaftigen Menschen in schwierigen Grenzsituationen – etwa denen zwischen Macht und Ohnmacht, Erkenntnis und Wahn, Lust und Tod; die poetische Ferne also als Folie über dem Gegenwärtigen und Immerwährenden.

Dabei haben Dorsts Figuren letztlich weder generell Recht noch Unrecht – das Publikum darf sich seinen Reim drauf machen. Wohlfeile Urteile vermag dieser Dichter nicht auszuteilen. Weder die Wirklichkeiten noch die Ideen haben eindeutig das letzte Wort.

Berühmt durch Szenen einer deutschen Revolution

So mag es kein Zufall sein, dass just im Jahr 1968, als der Glauben an die Veränderbarkeit der Welt durch Kunst besonders hoch gehalten wurde, sein „Toller“-Stück herauskam. Mit diesem Werk wider den Zeitgeist wurde der Autor mit einem Schlag berühmt.

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Seine „Szenen einer deutschen Revolution“, von Peter Palitzsch in Stuttgart urinszeniert und von Peter Zadek unter dem Titel „Rotmord“ fürs Fernsehen adaptiert, erzählen vom anarchischen Dichter Ernst Toller, der als schöngeistiger Guck-in-die-Luft 1919 an der Spitze der Münchner Räterepublik die Welt umkrempeln will – um es schließlich aufzugeben. Mit diesem wirkmächtigen Stück etablierte Dorst sein Lebensthema: Das Grauenerregende und das Verführerische von Utopien.

Und doch, wie bei jedem heiteren Pessimisten, züngelte auch bei Dorst tief im Herzen das feine Flämmchen Hoffnung. Zum Stirb und Werde gehört halt der Wahnwitz des sisyphushaften Neubeginns. Das ewige Dennoch, das Trotzdem. Das variiert er – wie auch besagte Schwierigkeiten mit dem Idealischen – nochmals eindringlich und durchaus amüsant in seinen späten, 1997 uraufgeführten Stücken über Heine („Harrys Kopf“) und Tolstoi („Was sollen wir tun?“).

Geld macht frei, macht aber auch böse

Seine endspielhafte Komödie „Wegen Reichtums geschlossen“ (1998) bringt das Existenziell-Widersprüchliche sarkastisch auf den Punkt: Geld macht frei, Geld macht böse. Ist also auch kein reines Glücksversprechen. Vom Vertrackten des Glücklichseins handelt auch sein schwarzhumoriges, freches Altmännerstück „Herr Paul“, dessen Quintessenz „Wer lebt, stört“ allgültig und knapp jedes Dasein umreißt.

Tankred Dorst, 1925 im thüringischen Sonneberg geboren, nach Kriegsteilnahme und amerikanischer Gefangenschaft Literaturstudium in Bamberg, seit 1952 in München ansässig, diente geradezu wie besessen dem Theater. Bei all seiner Skepsis blieb er immerzu neugierig auf Neues, beförderte Nachwachsendes. Für die Biennale „Neue Stücke für Europa“ war er zusammen mit seiner Frau Ursula Ehlers, unter deren Mitarbeit die meisten Texte entstanden, mehr als zwei Jahrzehnte lang unterwegs auf dem Kontinent, um passende Novitäten für dieses Festival zu akquirieren.

Eine Ehe fürs Theater: Tankred Dorst mit seiner Frau Ursula Ehler in München
Eine Ehe fürs Theater: Tankred Dorst mit seiner Frau Ursula Ehler in München
Quelle: picture-alliance / Sueddeutsche/Haas, Robert

Als das 2014 letztmalig stattfand, resümierte er rückblickend eine enorm zunehmende Vielfältigkeit des Theaters. „Als ich anfing zu schreiben waren die Grenzen der Darstellung enger, alles war strikter, geschlossener. Heutzutage gibt es eine viel freiere Art, Geschichten zu erzählen Und wenn das dann nicht Theater ist, dann nennen wir es eben Theater, würde Brecht dazu sagen.“

Immer aber werde und müsse es dabei um Menschen gehen, nicht allein um Argumente. Nicht darum, „wer Recht hat, sondern wie erregend der Mensch existiert“.

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