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  4. Extrem kurzweilig: Andres Veiels Dokumentarfilm „Beuys“, Trailer & Kritik

Film Andres Veiel: „Beuys“

Beuys lässt seine Hasser ganz schön alt aussehen

Der Künstler und Provokateur - „Beuys“

Die Dokumentation blickt auf das Werk des Künstlers Joseph Beuys zurück. Was wollte der Mann mit der Fettecke? Und was soll Kunst, wenn nichts dabei herauskommt?

Quelle: Piffl Medien

Autoplay
„Ja, Ja, Ja, Ja, Ja“: Von Spießern, verständnislosen Kollegen und wütenden Politikern – Andres Veiel widmet dem genialen Künstler Joseph Beuys den aufregendsten Dokumentarfilm der letzten Jahre.

Der Film ist anlasslos. Oder verspätet. Beuys starb 1986. Über seine Werke regt sich schon lange keiner mehr auf. Beuys ist klassisch geworden. Als man ihm 2004 in Houston eine opulente Retro widmete, schrieb ein amerikanischer Kritiker, Beuys werde verehrt wie ein zweiter Goethe. In den USA.

Ganz so sieht’s im Heimatland des Propheten nicht aus, aber es gibt Bewunderung und Gelassenheit. Die Zeit heilt alle Wunden, auch die, aus der Joseph Beuys 1976 seine berühmteste Installation machte, und die, als sie dann vom Münchner Lenbachhaus angekauft wurde, als teuerster Sperrmüll aller Zeiten diffamiert wurde.

So konsensfähig und museal ist inzwischen das Œuvre, dass einem die Präsenz und Lebendigkeit des Künstlers in Andres Veiels Dokumentarfilm den Atem nimmt. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der „Beuys“ in den vermeintlich liberalen 70er-Jahren alle Pfeile auf sich zog.

„Wann hat man ihn aus der Anstalt entlassen?“

Von erbosten Spießern – „Wann hat man ihn aus der Anstalt entlassen, wissen Sie das?“ –, fassungslosen Kollegen – „Es ist nicht mehr möglich, von Plastik im ursprünglichen Sinn zu sprechen“ (Max Bill) und aufgebrachten Politikern: „Auch wenn Herr Beuys malt“, erklärte der damalige nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD), „darf er keinen Hausfriedensbruch begehen“ – danach feuerte er „bei allem Verständnis für seinen persönlichen Stil“ den berühmtesten Professor, den die Düsseldorfer Kunstakademie je hatte.

Es ist überwältigend, wie alt Beuys seine Hasser in diesem temporeichen Zusammenschnitt aussehen lässt. Sein Charisma zu spüren, seinen mal stoischen, mal beißenden Humor, je nachdem, wie dumm man ihm gerade kommt oder wie selbstgerecht sich das Tribunal geriert, dem er sich stellt.

Der Guru: Beuys 1967 mit Studenten im Ringgespräch
Der Guru: Beuys 1967 mit Studenten im Ringgespräch
Quelle: © zeroonefilm/bpk/Stiftung Schloss Moyland/Ute Klophaus

Etwa in der vom Fernsehen übertragenen Diskussion „Provokation Lebenselement der Gesellschaft – Zu Kunst und Antikunst“, in deren Verlauf sich Arnold Gehlen zu der schrillen Frage verstieg, warum Beuys anstelle der 24 Schlitten für die Installation „Das Rudel“ keine Kinderwagen genommen habe! Worauf Beuys ihm lächelnd erwiderte, die Kinderwagen überlasse er gerne Gehlen: „Mal sehen, ob Sie daraus etwas Interessantes machen können.“

Im Gegensatz Thomas Palzer, der seinen 2001 entstandenen Beuys-Film „Messias in Filz“ nannte, hat Andres Veiel nur fünf Weggefährten vor die Kamera gebeten: Johannes Stüttgen (Beuys-Schüler), Klaus Staeck (Grafiker), Franz Joseph van der Grinten (ältester Freund und Förderer), Rhea Thönges Stringaris (Mitarbeiterin) und Caroline Tisdall (Guggenheim Museum, New York).

Noch besser wäre es gewesen, ganz auf diese Zeitzeugen zu verzichten. Einerseits, weil sie nicht wirklich etwas zur Erklärung des Mythos Beuys beizutragen wissen, zum anderen, weil die Farbaufnahmen das grobkörnige dokumentarische Schwarz-Weiß empfindlich stören, diese virtuose Montage (Schnitt: Stephan Krumbiegel und Olaf Voigtläner) voller Splitscreens und Kontaktbögen-Zooms.

Der Performance-Künstler: Beuys 1965 bei der Fluxus-Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“
Der Performance-Künstler: Beuys 1965 bei der Fluxus-Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“
Quelle: © zeroonefilm/bpk/StiftungSchloss Moyland/Ute Klophaus

Insgesamt wurden die 107 Minuten aus einem Reservoir von 400 Stunden Bildmaterial, 300 Stunden Audiomaterial und über 20.000 Fotos destilliert. Für den Schnitt benötigten Krumbiegel und Voigtländer 18 Monate. Am Ende steht Veiels („Black Box BRD“, „Der Kick“) bislang elegantester Film.

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Auf überwältigende Art wird man mit dem konfrontiert, was man von damals nur noch schemenhaft in Erinnerung hatte: die Fluxus-Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“; die Performance „I like America and America likes Me“, für die sich Beuys in einer New Yorker Galerie fünf Tage lang mit einem Kojoten einsperren ließ; ja, sogar das Documenta-Projekt „7000 Eichen“, für das er sich aufrieb, mit dem er zu Lebzeiten nicht fertig wurde.

Umwerfend das berühmte „Ja, Ja, Ja, Ja, Ja. Nee, Nee, Nee, Nee, Nee“, das immer wieder aus dem Off kommt. Anrührend das Ende, wenn Beuys, von der Krankheit schwer gezeichnet, den Hut abnimmt, um als Mensch hinter Kunstfigur hervorzutreten.

„Beuys“ ist extrem unterhaltsam. Ein intensiver Blick in die alte Bundesrepublik. Wenn man etwas kritisieren wollte, dann dies: Veiel interessiert sich ausschließlich für den homo politicus, die eigentliche Kunst kommt zu kurz, und die Frage, wie Joseph Beuys mit dem, was er machte, Anfang der 80er-Jahre vor Andy Warhol zum teuersten Künstler des internationalen Kunstmarkts aufsteigen konnte, wird nicht beantwortet. Geschenkt. „Beuys“ ist der mit Abstand kurzweiligste Dokumentarfilm der letzten Jahre.

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