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  4. Wonder Woman: Begegnung mit Regisseurin Patty Jenkins

Film „Wonder Woman“

Ist dieser Film nun sexy oder sexistisch?

In Amerika tobt eine Debatte um die erste weibliche Kino-Superheldin „Wonder Woman“. Wie feministisch können die Abenteuer einer halb nackten Amazone sein? Ein Treffen mit Regisseurin Patty Jenkins.

Am Anfang beider Filme steht die große Desillusionierung. In „Monster“, dem Spielfilmdebüt der Regisseurin Patty Jenkins von 2003, erinnert sich die Protagonistin Aileen Wuornos an ihre Kindheitsträume. „Schön und reich“ wollte sie werden, „wie die Frauen im Fernsehen“, erzählt sie in der Eingangsszene, doch statt in Hollywood landet Aileen auf der Straße, prostituiert sich, wird vergewaltigt, ermordet ihre Freier und bekommt dafür die Todesspritze. Hauptdarstellerin Charlize Theron wurde damals mit dem Oscar ausgezeichnet.

Auch Jenkins’ zweiter Film „Wonder Woman“ – der „am heißesten erwartete Film des Sommers“, in zwei Wochen kommt er in die deutschen Kinos – beginnt mit einer Stimme aus dem Off: „Ich wollte immer die Welt retten, diesen wunderschönen Ort. Doch je näher man kommt, desto deutlicher erkennt man die große Finsternis“, sagt die ernüchterte Diana Prince, gespielt von Gal Gadot. 14 Jahre liegen zwischen „Monster“ und „Wonder Woman“, und so verschieden die Ausgangslagen und Ansprüche von Diana und Aileen sind – hier die Halbgöttin, dort die Nutte, Heldin und Antiheldin – ihr Gegner ist der gleiche: das Patriarchat. Als brutal, ordinär, korrupt, dümmlich und/oder feige werden die meisten Männer dargestellt, bis auf wenige Ausnahmen. „Monster“ und „Wonder Woman“ sind, und das ist kein Zufall, auch Männerstudien.

Die Regisseurin sitzt im „Ritz Carlton“ in Midtown Manhattan, 14. Stock, Blick auf den Central Park. „Es ist nun mal so, dass beide Protagonistinnen in einer Welt leben, die von Männern bestimmt wird. Was soll ich da machen? Das ist die allgemeine Erfahrung aller Frauen. Die einzige Welt, in der wir leben“, sagt die 45 Jahre alte Kalifornierin. Sie wirkt drei-Espresso-wach, jeder Satz sitzt wie maßgeschneidert, immer freundlich, aber ganz ehrlich. Erleichtert sei sie nun, einen Tag vor dem US-Kinostart, dass das Warten und die Interviews ein Ende finden.

WW-21192r Film Name: WONDER WOMAN Copyright: © 2017 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. AND RATPAC ENTERTAINMENT, LLC Photo Credit: Clay Enos/ TM & © DC Comics Caption: (Foreground L-R) Director PATTY JENKINS and GAL GADOT on the set of the action adventure "WONDER WOMAN," a Warner Bros. Pictures release.
"Ich möchte eine großartige Regisseurin sein und nicht eine großartige Frau als Regisseurin“: Patty Jenkins (links) mit Schauspielerin Gal Gadot am "Wonder Woman"-Set
Quelle: WARNER BROS./Clay Enos

Was wurde in den vergangenen Wochen alles auf diesen Film projiziert, was wurde geschimpft und interpretiert. Jenkins, die allererste Regisseurin eines Superhero-Blockbusters und erst die dritte Regisseurin überhaupt mit einem Budget von über 100 Millionen US-Dollar. „Wonder Woman“, ein Blockbuster mit weiblicher Superheldin – und die dämliche Metafrage: Interessieren sich Frauen überhaupt für Actionfilme? Ob die Brüste der Hauptdarstellerin Gadot zu klein seien und ob ihre rasierten Achselhaare wirklich zum 2017er Feminismus passen, wurde gerätselt. Ob Wonder Woman bisexuell sei, wurde diskutiert, dankbares Clickbaiting-Material, und als der Kinobetreiber „Alamo Drafthouse“ ankündigte, Vorführungen nur für Frauen zu organisieren, stieg der Puls der Männerrechtler.

Eine Welt frei von Männern

Als dann die Forderung nach reinen Männer-Vorführungen aufkam, sprang allerdings der Schauspieler Don Cheadle für die Feministinnen in die Bresche und bemerkte: „Wenn Männer sich selbst feiern, machen sie kein großes Ding daraus. Das nennt man dann einfach ‚Welt‘.“ Und eine Twitter-Userin ergänzte, dass es den Bund der Frauenfeinde doch befriedigen müsste, dass erst vor ein paar Wochen eine für Millionen von Frauen gesundheitsgefährdende Gesundheitsreform verabschiedet worden sei –von einem Dutzend weißer alter Männer.

Unter dem Strich sind Geschichtchen wie diese wohl gleichermaßen Geschenk und Gift. Geschenk, weil sie die stetige Notwendigkeit des Feminismus und die Erbärmlichkeit vieler Männer unterstreichen, Gift, weil sie von einer interessanteren Auseinandersetzung mit der Figur Wonder Woman ablenken. „Ich möchte eine großartige Regisseurin sein und nicht eine großartige Frau als Regisseurin“, sagt Jenkins.

This image released by Warner Bros. Entertainment shows Gal Gadot in a scene from "Wonder Woman," in theaters on June 2. (Clay Enos/Warner Bros. Entertainment via AP)
Stark, empathisch, süß, heiß, aggressiv: Gal Gadot als Wonder Woman
Quelle: AP

Eigentlich nur logisch, dass „Wonder Woman“ uns zunächst in eine Welt frei von Männern führt. Themyscira heißt die Insel, auf der Diana Prince groß wird. Sie heißt zu diesem Zeitpunkt noch nicht Diana Prince, sondern „Diana, Princess of Themyscira“, aber später, bei einem ihrer ersten Auftritte in der Welt der Menschen, wird ihr ein ihre Enttarnung als Superheldin fürchtender Mann den Mund verbieten, als diese etwas ungewöhnliche Vorstellungsfloskel aus ihrem Mund sprudeln will. Kurz: Diana Prince.

Claire Underwood mit Pfeil und Bogen

Die Insel Themyscira: Wasserfälle, Lagunen, grünstes Grün, blaustes Blau, und die Amazonen, von denen die meisten auf dem Victoria’s-Secret-Laufsteg nicht negativ auffallen würden, traben auf Pferden über den weißen Strand. Nett hier, ohne Männer, aber genau wie die perfekte Fake-Welt der Truman Show auf Dauer unbefriedigend ist, langweilt sich auch Prinzessin Diana auf Themyscira irgendwann.

Sie will kämpfen, nicht aus Rache, dafür ist die junge Insulanerin zu naiv und idealistisch, sondern aus dem Glauben an das Gute im Menschen heraus. Tante Antiope, gespielt von der zuverlässig phänomenalen Robin Wright, wird zu ihrer Trainerin. Claire Underwood mit Pfeil und Bogen! „Die Welt auf Themyscira ohne Männer ist zugleich wunderbar und unvollständig. Ich glaube, dass sich die Frauen verstecken, dass sie die Realität leugnen, denn einerseits können sie dort nicht ewig bleiben und andererseits stimmt es auch nicht, dass die Welt ohne Männer eine bessere ist“, sagt Jenkins, die ihre zentralen Sätze mit strammer Gestik rahmt.

Darum verbietet der Libanon „Wonder Woman“

Der Libanon hat den US-Film „Wonder Woman“ verboten. Die Comicverfilmung wurde vom Innenministerium untersagt. Die Regierung in Beirut reagierte damit auf eine Kampagne, die ein Aufführungsverbot forderte.

Quelle: N24/Christin Brauer

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Jenkins, Tochter eines Air-Force-Captains und einer Umweltwissenschaftlerin, kam über ein Sommerpraktikum beim Beat-Poeten Allen Ginsberg zum Film, da war sie 14, später studierte sie das Handwerk an der Cooper Union in New York. Dass zwischen „Monster“ und „Wonder Woman“ so viel Zeit lag, sei auch dem Sexismus der viel zu männlichen Filmindustrie geschuldet. „Ich habe immer wieder Skripte geschrieben, für die sich Hollywood nicht wirklich interessiert hat“, sagt sie.

„Psychologische Propaganda“

Ihre Gespräche mit den Studiobossen von „Warner Bros.“ über eine mögliche „Wonder Woman“-Verfilmung begannen bereits 2005, kurz darauf schrieb Allan Heinberg das Drehbuch, doch das Projekt wurde immer wieder verschoben. „Starke Frauen sehen wir erst seit ein paar Jahren vermehrt auf der Kinoleinwand“, so Jenkins. „The Hunger Games“, „Mad Max: Fury Road“ und „Ghostbusters“ seien Belege für den Wandel. Ab 2015 wurde „Wonder Woman“ durch finanzielle Hilfe des heutigen Finanzministers Steven Mnuchin dann verwirklicht.

Von der Kreation der Comic-Figur bis zur Kinoadaption dauerte es noch länger, und zwar 76 Jahre. Mitten im Zweiten Weltkrieg, 1941, hatte der Psychologe, Comic-Zeichner und Feminist William Moulton Marston Wonder Woman für den Verlag „DC Comics“ erschaffen – mithilfe seiner Frau Elizabeth. Batman und Superman kämpften sich schon ein paar Jahre durch die Comicwelt, Moulton erkannte die Lücke.

„Wonder Woman bedeutet psychologische Propaganda für einen neuen Typ Frau, der, wie ich glaube, die Welt regieren sollte“, sagte Moulton damals und verpasste seinem Wundergirl einen goldenen Stirnreif, rot-goldene Corsage, einen blauen Minirock und ein Lasso der Wahrheit, ihre größte Waffe. Als Bondage-Fan verpasste Moulton außerdem kaum eine Gelegenheit, Situationen zu schaffen, in denen Wonder Woman gefesselt ist. „Dass Moulton eine Figur schuf, die nicht nur stark und kämpferisch, sondern auch wunderschön und weich ist, war damals revolutionär. Damit können die Leute ja nicht mal heute umgehen“, sagt Jenkins.

Es sind tatsächlich diese Spannungsfelder, die Wonder Woman bis heute als Kontroverse konservieren und immer noch zu viele Menschen überfordern. Ist sie nun Pin-up-Girl oder Frauenbotschafterin? Ist ihre Darstellung sexy oder sexistisch?

Nach den Peniswitzen endlich Action

Die Israelin Gal Gadot als Wonder Woman löst diese ermüdenden Pseudo-Widersprüche auf, sie ist so vieles gleichzeitig: stark, empathisch, süß, heiß, aggressiv – ein badass, wie die Amerikaner sagen, und ihre Mutter, Königin Hippolyta (Connie Nielsen), hat wohl recht, als sie ihrer Tochter einflößt: „Sie verdienen dich nicht“, gemeint sind die Männer. Wonder Woman ist ein Vorbild für Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt, eine Sehnsuchtsverkörperung seit Jahrzehnten, und deshalb war die Kinoproduktion überfällig.

„Mir haben viele Frauen gesagt, dass sie gar nicht wussten, dass sie so einen Film brauchen“, sagt Jenkins, die sich eng an den Originalplot hielt. Als der süße Pilot Steve Trevor (gespielt von Chris Pine) auf Themyscira bruchlandet, hat das Warten auf Gadot als Heldin ein Ende. Zusammen begeben sie sich nach London, mitten in den Ersten Weltkrieg, um die Bösen (die Deutschen), aber vor allem das Böse (Ares, den Gott des Krieges), zu bekämpfen. Als Trevors Sekretärin ihren Job erklärt, antwortet Wonder Woman: „Da, wo ich herkomme, nennt man das Sklaverei.“

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Ein paar Penisgrößenwitze und Catcallingszenen weiter ist dann endlich Action – und in Action, zwischen Slow Motion und Vorspuleffekt, offenbart sich die wahre Feministin. Wonder Woman ist ein Symbol, klar, aber sie ist auch viel mehr als das. Sie kümmert sich um die Schwachen, sie versteht die strukturellen Probleme, sie ist das Gegenteil der Facebook-Managerin Sheryl Sandberg, deren Feminismus an 90 Prozent aller Frauen vorbeigeht. Wonder Woman brüllt die feigen Politiker zusammen, denn Schreibtischmoral genügt ihr nicht. Und einer wie Aileen Wuornos, der kaputten Prostituierten aus „Monster“, hätte sich Wonder Woman liebevoll angenommen, das steht fest.

Manche der Wonder-Woman-Sätze würden auch perfekt ins Sprücheportfolio von Hillary Clinton passen. „Was ich tue, entscheidest nicht du“, sagt sie irgendwann, aber anders als Clinton bleibt Wonder Woman nicht bei „love trumps hate“ hängen. Die Waffen einer Frau sind nämlich: Waffen. „Ich habe kein Problem mit Gewalt, das Gleiche gilt für Wonder Woman“, sagt Patty Jenkins. „Wir leben in einer gewaltsamen Welt, die manchmal Gegengewalt verlangt. Heutzutage ein Pazifist zu sein, ist zu idealistisch.“

Dass die Dialoge zu oft platt und infantil sind, ist dann irgendwie auch egal. Als der Abspann bei der Kinovorstellung in der Upper West Side in Manhattan läuft, laufen bei manchen Frauen im Publikum Tränen. Und auf dem Weg aus dem Kinosaal kommen wir an den Poster zum neuen „Baywatch“ vorbei. Zach Efron und Dwayne Johnson oberkörperfrei. Passt schon.

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