Für eine neue Poster-Serie hat das schwedische Möbelunternehmen Ikea 13 Künstler aus der ganzen Welt mobilisiert. Ihre Werke kann man ab April für jeweils 9,90 Euro erwerben.
Exklusiv mutet das Ergebnis an. Denn dem Vertrackten am Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit – seine Reproduzierbarkeit nämlich – steuert Ikea kühn entgegen. Streng limitiert sei das Ergebnis, raunt uns der Konzern zu, hält sich aber bedeckt bezüglich Informationen zur genauen Zahl der Auflage.
Nachdem sich der Kritiker Hellmuth Karasek 2015 aus literaturwissenschaftlicher Perspektive intensiv mit dem Ikea-Katalog als „möbliertem Roman“ auseinandergesetzt hat, folgt nun der kunstkritische Blick auf die neuen Plakate.
Jean Jullien: „Shelfie“
Mit der Leichtigkeit eines spielerischen Kinderbuchs erheitert das Werk des Franzosen das Gemüt des potenziellen Käufers. Doch stopp! Manchmal trügt der erste Blick und wiegt uns in falscher Sicherheit. Weist das bunte Pop-Art-Poster nicht eklatante Ähnlichkeiten mit dem schrillen Mobiliar der Mailänder Gruppe Memphis auf?
Allerdings in radikaler Bedeutungsumkehrung. Nicht das Objekt erhält hier einen anthropomorphen Anstrich. Stattdessen wird das mündige Subjekt zum fremdbestimmten Objekt! Der Mensch als Schrank. Als „Shelfie“, wie Jullien selbst titelt.
Phänomenologisch ist das schon ein Ding. Handelt es sich bei der Illustration womöglich um eine Persiflage auf die säkulare Idee des befreiten Körpers, die uns seit der Aufklärung begleitet? Die männliche Figur mag zwar glückselig lächeln, doch ihre physische Unterjochung ist unleugbar. In perfekter Symmetrie stemmt sie Tasse, Radio und Obstschale und macht sich dabei selbst zum Inventar.
Die ewig gepredigte Autonomie des Homo sapiens als fixe Träumerei? Performativ reflektiert der Körper in diesem Bild auf sich selbst und die Maxime, der er folgt: Selbstbeherrschung als Selbstoptimierung.
Sprach Medienphilosoph Marshall McLuhan in den 60ern noch vom Medium als „extension of man“, so stellt Jullien in seiner harmlos anmutenden Arbeit möglicherweise die provokante Frage: Sind wir inzwischen nicht viel eher die „extensions of media“?
Yasuto Sasada: „Matsuri“
Ein Bild wie absurdes Theater. Nicht besonders gutes allerdings. Zu offensichtlich mutet Sasadas übereifriges Opus der Skurrilitäten an. Mag man die verstörenden Gemälde eines Hieronymus Bosch noch als sozialkritische Zeitdiagnosen über die niederländische Gesellschaft der Renaissance lesen, so handelt es sich beim Yasuto Sasadas Werk um einen albernen Kladderadatsch aus unterschiedlichsten Symbolen, die nebeneinandergestellt möglichst wenig Sinn ergeben sollen.
Ein bisschen Tetris, ein wenig fernöstliche Motivik und ein Spiegelei. Und mittendrin der Mensch, dessen weinendes Auge uns aus seinem bereits skelettierten Schädel anblickt wie der frisch in Wachs verpackte Jason Padalecki in „House of Wax“.
So würden wir vielleicht auch aus der Wäsche schauen, steckte uns obendrein noch eine Erdbeere im knöchernen Nasenloch. Dieser programmatische Eklektizismus erreicht jedoch keine tieferen Bedeutungsebenen, wie es beispielsweise die dadaistische Collagenkunst von Hannah Höch oder Kurt Schwitters vollbringt.
Lustvoll geht er vielmehr in der eigenen Bedeutungslosigkeit auf. Dieses pseudo-schockierende Kuriositätenkabinett ist eine Zumutung.
Joanna Concejo: „Around a table“
Ganz anders das zurückhaltende Porträt einer gescheiterten Beziehung von Joanna Concejo. Die zu zwei Dritteln begrünte Fläche erinnert einerseits an die ehemals sprießende Bindung der Protagonisten, verweist gleichzeitig jedoch schon auf deren wuchernden Verfall. Poetisch wird der Topos um die Schöne und das Biest aufgegriffen und in eine anrührende Illustration verwandelt.
Die dickzöpfige Mädchenfigur befindet sich bereits am Abgrund ihrer Gefühle und blickt nüchtern ihrem Schicksal entgegen – die Abkehr vom Paradies und der Sturz in die Leere sind unausweichlich. Das Ende der Liebe als Ende der Welt.
Tragischerweise scheint sich ihr zukünftiger ehemaliger Geliebter – ein Bär – dieser Wendung noch nicht vollends bewusst zu sein. Träumend vergräbt er sich in die Landschaft, doch die melancholischen Züge um seine Augenpartie sind nicht zu verbergen.
Aber wo ist der ominöse Tisch, der hier als Namensgeber in Erscheinung tritt? Es handelt sich um das vitalistische Fleckchen Erde selbst, an dessen Ende ein bissiger Hund bereits zum Abräumen auffordert.
Man möchte meinen, der Bär hätte dem Mädchen gerade noch „Klopstock!“ zugeflüstert und warte nun demütig auf Antwort. Sie allerdings hat den gemeinsamen Küchentisch bereits verlassen.
Fazit
Insgesamt hat man es bei den Künstlern der Ikea-Klasse mit sehr unterschiedlichen Akteuren zu tun. Dennoch sind sie alle Freunde der Figuration, der Lust am Abstrakten frönen sie nicht.
Rezeptionsästhetisch wird jeder Betrachter dort abgeholt, wo er steht, so verschieden muten die Werke des gesamten Œuvre an. Während so manches wilde Zeichenpotpourri allerdings auf den zweiten Blick tatsächlich weiter gehende Sinnebenen eröffnet, verweigern andere Werke dem Betrachter jegliche Kommunikation.
Möglicherweise handelt es sich hier um eine neue Schule der radikalen Inkohärenz. Klar ist nur eines: Der Konzern bewegt sich mit seinen kulturfördernden Maßnahmen offensichtlich in Richtung Gesamtkunstwerk. Wir freuen uns dementsprechend auf den nächsten logischen Schritt – das Ikea-Sinfonieorchester.