Eigentlich dachte man, mit dem Dadaismus sei nach dem großen Jubiläum im vergangenen Jahr endgültig Schluss. Zum 100. Geburtstag wurde ja wirklich alles zu dem Thema hervorgezogen. Besonders in Zürich, wo Hugo Ball und Emmy Hennings im Jahr 1916 das Cabaret Voltaire gegründet hatten, um Wort- und Bildjongleuren von Walter Serner bis Tristan Tzara eine Bühne zu bieten. Hannover, Köln, Paris natürlich und auch Berlin folgten im irren Spiel um die Erneuerung der Kunst nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs.
Ein paar Jahre wollte Dada unterhalten, aber auch gesellschaftlich aufklären, hatte vorgefundene Bilder zu neuen Kontexten collagiert, allerlei Texte im Stakkato erster Poetry-Slams zerfetzt, nebenbei noch Happenings und Performances erfunden und war doch schnell im Strom der Ismen aufgegangen. Doch gestorben ist Dada nicht. Dada lebt. „Black Dada“.
So nannte der afroamerikanische Künstler Adam Pendleton sein Manifest, das er im Jahr 2008 schrieb. Mit „Black Dada“ fordert er ganz ähnlich wie die Protagonisten in den Dadaistenklubs der späten Zehnerjahre eine „irrationale Sprache“, die Einheit von „Form und Leben“ und die „Möglichkeit, von der Zukunft zu erzählen, indem man über die Vergangenheit spricht“.
Shooting-Star Adam Pendleton stellt in Berlin aus
In den letzten hundert Jahren ist die Welt noch unübersichtlicher geworden, als es sich selbst die fantasiebegabtesten Originaldadaisten hätten vorstellen können. Lustige Collagen oder skurrile Poesie sind von Adam Pendleton deshalb auch nicht zu erwarten, wenn er nach gefeierten Ausstellungen in amerikanischen Museen, nach Soloshows bei seinen Galerien Pace (New York/London/Peking) und Eva Presenhuber (Zürich) erstmals mit einer großen Installation in Deutschland zu sehen ist.
Im Berliner KW Institute of Contemporary Art (Kunst-Werke) hat Pendleton eine Wand eingezogen, auf der sich ein riesiges, visuell kaum fassbares Palimpsest aus Schrift und Bild ausbreitet. Fragmente sind extrem vergrößert, sodass man sich von der Installation entfernen oder langsam an ihr vorbeischreiten muss, um die einzelnen Lettern erst zu Wörtern, dann zu einem Satz zusammenfügen zu können. Unter dieser Ebene liegen längere Texte, Essays, aber auch kunstwissenschaftliche Bildbeschreibungen.
Nach der Schrift kommt das Bild. Historische Fotografien von Afrikanern in ritueller Tracht tauchen auf, zeitgenössische Fotos von Menschen in auffällig gemusterter Kleidung, übergroß aufgezogen, sodass die Struktur in der Nahsicht zum abstrakten Ornament wird. Und dann erst fallen kleine gerahmte Bilder auf, die in die Wand eingelassen sind. Darin Spuren von Graffiti, Wörter aus Briefen, Drucke auf Spiegelglas. Wir fahren mit unseren Augen über diese Oberflächen wie die optische Leiste eines Scanners, zoomen auf einzelne Pixel, vergleichen Typografien, untersuchen Bilder in Weitwinkelperspektive.
Immer wieder vertieft man sich in die Schrift auf der Suche nach einem Narrativ, das Halt geben könnte, und gleitet ab. Die Installation, die Pendleton hier aufgebaut hat, wirkt in ihrer Liebe zum gedruckten Wort und Bild einerseits altmodisch wie die Seiten aus einem gigantischen Fotokopierer und andererseits hypermodern wie die Displays der Postinternetkunst der letzten Jahre.
Und tatsächlich ist diese Kunst post und prä: „Black Dada ist die Vergewisserung, dass wir ständig die Verworrenheiten der Vergangenheit und der Gegenwart mit uns herumschleppen“, sagt Adam Pendleton und lehnt sich auf dem Direktorensofa im Kunst-Werke-Büro lässig zurück. „Als Individuen haben wir das Bedürfnis, komplexe Dinge zu vereinfachen und leserlich zu machen, aber mich interessiert, wie wir eine komplexe Welt kollektiv wahrnehmen.“
Sowohl als auch statt entweder oder
Pendletons Methode ist – ganz im dadaistischen Sinne – plausibel: Sie vereinfacht nicht, sie verkompliziert. Sie führt seine Erzählstränge nicht in einem Punkt zusammen, sondern öffnet die Geschichte wie ein Seil, dessen einzelne Fasern von der ständigen Benutzung auseinandergekämmt sind. Dieses Betriebssystem folgt nicht der einschränkenden Logik von Entweder-oder-Entscheidungen, sondern dem radikalen und gleichzeitigen Nebeneinander von vielen Sowohl-als-auchs. Da kann dann ein Textschnipsel des afroamerikanischen Soziologen und Bürgerrechtsaktivisten W. E. B. Du Bois in einer Skulptur aus zwei Spiegelbuchstaben mit dem Foto eines maskierten Bauhaus-Studenten kollidieren.
Dass Pendletons Kosmos schwarz-weiß ist, darf man als konsequentes und durchaus kokettes Markenzeichen des 1984 in Richmond, Virginia, geborenen Künstlers verstehen. Denn erstens ist ja eben nichts schwarz-weiß in dem komplexen Referenzsystem, das seine Weltsicht bestimmt. Und zweitens beschäftigt Pendleton besonders die kulturelle Idee der „Blackness“. Während er in seiner Arbeit also Texte schwarzer Philosophen, Schriftsteller, Dichter und Politiker heranzieht und sich mit Fragen von Rasse, Identität und Ausgrenzung befasst, konterkariert er sie formal mit einer Strategie der Abstraktion. Denn Schwarz ist die Abwesenheit von Farbe und doch gleichzeitig die Summe aller Farben. Schwarz ist das berühmte Quadrat von Kasimir Malewitsch, die Konzeptkunst, der Minimalismus – und die Schrift.
Mit seiner Strategie hat Pendleton auch schon eine der wichtigsten Sammlerinnen für afroamerikanische und afrikanische Kunst für sich interessieren können, Pamela Joyner. „Mich zieht an diesem Werk an, dass es konzeptuell ist, aber vieles davon auch eine minimalistischen Handschrift hat“, sagt Joyner. „Damit erschafft Pendleton ein vielschichtiges Narrativ, das auf ganz unterschiedliche Art und Weise gelesen werden kann.“
In diesen Erzählungen liegt auch eine politische Botschaft. Als Adam Pendleton im November 2016 seine Ausstellung „Midnight in America“ in der Galerie Eva Presenhuber eröffnete und die Schriftarbeiten an den Wänden die Opfer der amerikanischen Demokratie beklagten, wirkte das wie ein aktueller Kommentar auf die intellektuelle Verdüsterung der USA nach dem Wahlsieg von Donald Trump. So darf man die Schau in Berlin nun als aufklärerischen Auftrag verstehen, wenn man die großen Buchstaben zusammensetzt und ein in Pendletons Arbeit wiederkehrendes Mantra liest: „If the function of writing is to express the world.“
Adam Pendleton, bis 14. Mai, KW Kunst-Werke, Berlin