Tausende Werke, Hunderte Namen, zig Pavillons – auf der Biennale von Venedig kommt man kaum auf einen gemeinsamen Nenner. Aber diese Künstlerinnen sind das absolute Muss in dieser Ausgabe: Geta Bratescu, Sharon Lockhart und Anne Imhof. Jahrgang 1926, 1964 und 1978. Rumänien, Polen und Deutschland. Drei Frauen, drei Generationen, drei Pavillons, ein Thema auf drei unterschiedliche Weisen: der menschliche Körper.
Körperkunst
Anne Imhofs Körper sind mächtig und machtlos zugleich, ferngesteuerte Zombies, Repräsentanten unserer technisierten Gegenwart. Imhof gibt den „Faust“ und hat einen erhöhten Glasboden und transparente Wände in den deutschen Pavillon eingezogen.
In diesem unterkühlten Kabinett im deutschen Pavillon, das sich zum Ausschluss des aufdringlichen Publikums auch vollständig mit Fallrollläden verschließen lässt und bewacht wird von Jugendlichen in Antifa-Pullis, bewegen sich ihre blassen, ernsten Tänzer. Man sieht Besucher weinen. Andere fliehen, wieder andere stehen da mit erkaltetem Blick.
Emotional leichter zugänglich ist Sharon Lockharts neuer Film „Little Review“. Die Künstlerin lernte die Performer bei einem Jugendprojekt in Polen kennen. Auf der Leinwand bewegen sich fünf Mädchen vor einem schwarzen Hintergrund. Sie zeigen in anrührender Serie kleine Gesten und sprechen kleine und große Worte: „betrunken“, „Hass“, „Liebe“, „Hoffnung“.
Körper als Träger unserer Seele – damit beschäftigt sich auch Geta Bratescu. Sie ist die Entdeckung der letzten Jahre. Die über 90-Jährige arbeitet sich seit Jahrzehnten nahezu unbemerkt in ihrem kleinen Atelier in Bukarest an ihren Körperlinien ab. Nach einer beeindruckenden Ausstellungsserie von London bis Hamburg wird sie nun in Venedig gefeiert.
Spaßfaktor
Die meiste Kunst auf dieser Biennale ist materialschwanger, sehr ernst oder erschöpft. Der auseinanderfallenden Welt mit beißendem Humor oder Esprit zu begegnen, ist nicht angesagt. Außer an zwei Stellen.
Im finnischen Pavillon inszenieren Nathaniel Mellors und Erkka Nissinen ein absurdes Filmtheater mit animierten Figuren, die aus der Vergangenheit kommen: ein sprechendes Ei im Raum, Handpuppen à la Muppetshow und animierte Urschrate im HD-Format. In Dialogen, mit denen sie durch Mythologie und Zukunftsvisionen stolpern, versuchen sie, die Welt von heute zu verstehen und verpassen dabei unserem Anhaften an Religion und Fortschritt ein paar sehr lustige Hiebe.
Ähnlich desorientiert ist das freundliche Cybermonster im Zentralpavillon. Der deutsche Künstler Andy Hope 1930, der einmal Andreas Hofer hieß, schickt es in seinem Film „Vertical Horizon“ durch ein Scifi-Los-Angeles. Selbstoptimierung, Entertainment-Industrie und Soziale Netzwerke haben die Stadt in eine absurde Kulisse verwandelt, die an „Blade Runner“ oder „Planet der Affen“ erinnert.
Das Monster ist ein Alter Ego des Künstlers, der ihm im Raum drei handliche Skulpturen zur Seite gestellt hat. Sie sehen aus wie extraterrestrische Lebensformen aus einem Star-Wars-Comic. Kombiniert sind sie mit cartoonesken Gemälden. Ein Darth-Vader-artiges Porträt heißt „Mother“, eine Rakete mit Frauenkopf ist „weird“. Zwischen all der bierernsten Biennale-Beflissenheit tut das unheimlich gut.
Bastelstube
Christine Macel, die künstlerische Leiterin der Biennale, hatte eigentlich angekündigt, dass sie ihre Ausstellung „Viva Arte Viva“ von allem politischen Ballast befreien will, die Kunst solle als Kunst wirken. Umso absurder ist die Entscheidung, Olafur Eliassons gut gemeinter Bastelstube den schönsten Raum, das Rondell in den Giardini, den Knotenpunkt, zu schenken.
Man betritt ein inszeniertes Durcheinander, überall schräg gestellte Tische, an denen Frauen sitzen und Hölzer in Plastikscharniere stecken. Am Rand stehen 3-D-Drucker und produzieren die Einzelteile. Fabrikatmosphäre in Gemütlich. Das Ganze ergibt am Ende eine ziemlich unansehnliche Lampe, die Design, ja sogar Kunst sein soll. Die hier arbeitenden Frauen sind Geflüchtete, gecastet als Praktikanten für Eliassons „Green Light – an Artistic Workshop“: Sie malochen, damit die gut situierten Sammler aus aller Welt mindestens 250 Euro für eine ihrer Lampen ausgeben.
Heiligt der Zweck dieses folgenlose Zusammentreffen? Wie eine Antwort auf Eliasson wirkt da Candice Breitz im südafrikanischen Pavillon. Geflüchtete erzählen dort von ihrem Schicksal. Schauspieler wie Julianne Moore oder Alec Baldwin lesen ihre Geschichten erneut vor. Wem hören wir zu?
Materialschlacht
Es ist eng hier. Der britische Pavillon platzt aus allen Nähten, weil eine 73-jährige Bildhauerin ihn bis unter die Decke vollgestellt hat mit wuchtig-abstrakten Gebilden aus zusammengekleistertem Holz, Beton und Stoff. Grau- und Rottöne dominieren, und schon am Eingang zeugen deformierte Riesenbälle davon, dass man hier auch ohne Vorkenntnisse Spaß haben kann.
„Folly“ hat Phyllida Barlow ihre Schau genannt: eine Ode an die Freude und Verrücktheit. Dabei fällt immer wieder das Stichwort „alltägliche Materialien“. In der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ist das allerdings ungefähr so neu wie das Automobil. Trotzdem huldigt Großbritannien dieser Idee wie einem Segen, der in Zeiten voller nachdenklicher Gegenwartskunst Lust und Laune bringen soll. Doch bunte Masse ist keine Antwort auf die Frage, was Kunst heute leisten kann. Und darum geht es bei einer Biennale ja doch.
Ähnlich sieht es im Pavillon der USA aus. Ihn hat Mark Bradford mit riesigen Leinwänden aus Pappmaschee bearbeitet, deren Oberflächen aus Zeitungspapier, Postern und Werbeplakaten zu abstrakten Gemälden und Gebilden angerührt sind. Sie besetzen die Wände, stülpen sich freskenhaft in die Kuppel und als Blase in den Raum, sodass man darüber Bradfords Gedanken vergisst, die historische Männermalerei des Abstrakten Expressionismus mit der rauen Realität, dem schwarzen und schwulen Leben auf den Straßen von Los Angeles aufzuladen. Die Frage lautet hier nicht nur: Was kann Kunst leisten? Sondern: Wie muss sie aussehen, um überhaupt Platz für Fragen zu lassen?
Old School
Nur dreißig Prozent der Künstler in Venedig sind Frauen. Christine Macel hat eher einen Hang zu älteren Generationen. Der Altersdurchschnitt ist ungewöhnlich hoch. Viele Künstler sind bereits verstorben, andere ehrt sie am Ende ihres Lebens. Im Zentralpavillon in den Giardini überlässt sie ihnen gleich ganze Räume, während die junge Kunst in der Masse verschwindet.
Diese Ehre kommt auch dem in Syrien geborenen, dann Jahrzehnte in Berlin heimisch gewordenen Maler Marwan Kassab-Bachi zu. 2016 starb er in Deutschland und konnte gerade noch miterleben, wie die Aufmerksamkeit für seine Bilder stieg. In seiner Miniretrospektive in „Viva Arte Viva“ beobachtet man auf Selbstporträt für Selbstporträt, Gemälde für Gemälde, wie sich sein Bild vom Selbst langsam zersetzte und schließlich als fleischlicher Brei zerfließt, aus dem traurige, aber konzentrierte Augen schauen.
Strickware
Stricken, Weben und Nähen. Die Grande Dame zu diesem Thema ist Sheila Hicks, Jahrgang 1934. Sie übersetzt textiles Handwerk in wollige Gemälde und Skulpturen, die aussehen wie eine hochelegante Mischung aus Postminimal Art und Volkskunst. Auf der Biennale jedoch hat sie einfach einen großen Haufen bunte Wollknäuel an die Wand geschoben. Er bildet den krönenden Abschluss der Haupthalle im Arsenale, wo noch nie so viel Garn, Wolle und Schnur zu sehen war.
Emsige Künstler aus allerlei Kulturen haben hier Dinge vernäht, die der Ausstellung ein Gefühl von Handwerkskurs und Esoterikmesse verleihen. Bereits die Raumbetitelungen legen es nahe: Es gibt den Pavillon der Traditionen, den der Farben und der Schamanen, wo der Brasilianer Ernesto Neto ein gehäkeltes Zelt aufgespannt hat.
Politisch unkorrekt
Voller Empörung trat Martin Roth letztes Jahr als Direktor des Londoner Victoria & Albert Museum zurück. Sein Entsetzen über den Brexit sei zu groß, um weiterhin so eine Position zu bekleiden, Roth sprach von „persönlicher Verstörung“. Kurz darauf klagte er dann aber auch über niedrige Löhne und nannte seinen Job „Zuschussgeschäft“.
Das Problem hat er in seiner neuen Rolle sicher nicht. Und plötzlich sind auch die politischen Bedenken verschwunden. Als Kurator für den Pavillon von Aserbaidschan schwärmt er nun von einem Land, dessen Gesellschaft „vom Geist traditioneller Toleranz und harmonischer Koexistenz geprägt sei“. Dass dort weder Meinungsfreiheit noch Menschenrechte zählen? Geschenkt.
„Under One Sun – the Art of Living Together“ lautet der esoterische Titel der Schau, in der Kunst zum Werbetool wird: In einer Multimediainstallation wispern Einwohner verschiedener Abstammung vor sich hin, beseelt von der Diversität ihres Landes. Und der Künstler Elvin Nabizade hat zwei Skulpturen aus traditionellen Musikinstrumenten kombiniert. Folklore meets Marketing – über Niedriglöhne wird der Kurator hier kaum klagen.