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Literatur Jonathan Safran Foer

Endlose Gespräche über erschlaffende Erektionen

Mit "Alles ist erleuchtet" (2002) startete Jonathan Safran Foer seine literarische Karriere. "Hier bin ich" ist sein dritter Roman. Mit "Alles ist erleuchtet" (2002) startete Jonathan Safran Foer seine literarische Karriere. "Hier bin ich" ist sein dritter Roman.
Mit "Alles ist erleuchtet" (2002) startete Jonathan Safran Foer seine literarische Karriere. "Hier bin ich" ist sein dritter Roman.
Quelle: Miguel Rajmil/picture alliance / dpa
Nach elf Jahren hat Jonathan Safran Foer endlich wieder einen Roman geschrieben. In „Hier bin ich“ geht es um Porno-SMS, Billigzahnseide und ein Mittelstandspaar, das Woody Allen verfilmen sollte.

Elf Jahre hat sich Jonathan Safran Foer Zeit genommen, um seinem 9/11-Buch „Extrem laut und unglaublich nah“ einen weiteren Roman folgen zu lassen. Entsprechend wuchtig kommt „Hier bin ich“ daher. Er ist nicht nur knapp 700 Seiten dick, sondern betreibt ganz generell einen beachtlichen Materialaufwand.

Einerseits wird wirklich sehr viel gesprochen, telefoniert, gechattet und gesimst. Andererseits wird der Nahe Osten durch ein Erdbeben verwüstet, was auch dramatische Verwerfungen der politischen Grenzen zur Folge hat.

Ein Erdbeben in Jerusalem

Die Klagemauer stürzt ein, der Felsendom wird von israelischen Extremisten geschändet, in Teheran ruft der Ayatollah zum Völkermord auf, und Dutzende Länder – darunter aus nicht ausgeführten Gründen auch Albanien, Kirgisistan oder die Komoren – erklären Israel den Krieg.

Aber auch in Hinblick auf die Körperpflegeprodukte, mit denen sich das Ehepaar Bloch vor dem Doppelwaschbecken „bettfertig“ macht, fühlt sich der Erzähler dem Vollständigkeitsprinzip verpflichtet:

Jacob verwendet Billigzahnseide von CVS, Julia Oral-B-Glide-3d–Zahnseide; Jacob kombiniert Cetaphil Daily Facial Cleanser mit Eucerin Daily Protection Moisturizing Face Lotion; Julia legt nach Skinceuticals-Retionol-I-Maximum-Strenght-Refining-Nachtcreme noch Laneige-Water-Bank-Feuchtigkeitscreme und Lancôme-Rénergie-Lift-Multi-Action-Nachtcreme auf.

Jüdische Identität ist das Thema

„Es ist nicht sein Thema, das ein Buch zu einem jüdischen Buch macht“, befand Philip Roth einst, „sondern der Umstand, dass es nicht die Klappe halten kann.“ So gesehen wäre „Hier bin ich“ ein ziemlich jüdisches Buch.

Darüber hinaus ist die Frage der jüdischen Identität aber auch ein zentrales Thema. Exemplarisch abgehandelt wird sie an Jacob und seinem israelischen Cousin Tamir. Deren Großväter waren Brüder, Shoa-Überlebende aus Galizien:

„Benny ging mit seiner Familie nach Israel, Isaac mit der seinen nach Amerika. Isaac hatte die Entscheidung seines Bruders nie verstanden. Benny verstand Isaac, verzieh ihm aber nie.“

Ein bisschen wie bei Woody Allen

Der Konflikt lebt in den Kindern und Kindeskindern fort. Tamir beneidet Jacob um das friedliche Leben und mokiert sich über dessen Wohlstandslarmoyanz; Jacob bewundert und verachtet Tamir als eine andere Ausgabe seiner selbst: tüchtiger und tapferer, viriler und vulgärer.

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Die Verschränkung des Yasmina-Reza-haften Mittelstandsentlarvungsgenre – merke: unter der 7000-Dollar-Matratze aus Biotang gähnt ein Abgrund existenzieller Leere! – mit der Frage der jüdischen Identität zwischen Ostküste und Westbank hat fraglos Potenzial.

Man kann sich vorstellen, dass Woody Allen was daraus gemacht hätte. Bei Jonathan Safran Foer ist die Sache allerdings einigermaßen schiefgegangen. Das liegt zu einem guten Teil an der Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und erzieltem Effekt und an des Autors Unwillen oder Unvermögen, die Masse des Materials in anschauliche und fassliche Proportionen zu bringen.

Als wäre die endlos ausgewalzte Konversation eines in seiner Erschlaffende-Brüste-und-Erektionen-Phase angekommenen Ehepaares nicht schon zäh genug, wird auch nur der Ansatz erzählerischer Dynamik – von Spannung ganz zu schweigen – durch permanente Einschübe, Rückblenden und einen enervierenden Hang zu Aufzählungen und anaphorischen Reihungen unterlaufen.

Ermüdend und langatmig

Bis die Sache mit den pornografischen SMS, die Jacob einer Arbeitskollegin schickt, endlich zu Ende erzählt ist, vergehen Hunderte Seiten. Und die schon im ersten Satz angekündigte, sich dann aber doch nicht ganz so ereignende „Vernichtung Israels“ scheint ein frivol hoher Aufwand für die relativ schlichte Pointe, die daraus folgt:

Den amerikanischen Juden ist das Schicksal ihrer israelischen Brüder und Schwestern doch nicht sooo wichtig. „Nach der Beinahe-Zerstörung waren sie immer noch dort drüben, aber sie waren nicht mehr die Seinen“, heißt es von Jacob, der sich den Bemühungen des israelischen Premiers, eine Million amerikanischer Juden im Alter nach Israel zu holen, verweigert.

Manierierte Metaphen

Das größte Problem des Romans aber sind dessen Protagonisten. Es ist schlechterdings unverständlich, warum man sich für diesen selbstmitleidigen Schluffi und diese hysterische Helikopter-Mom überhaupt interessieren soll, wenn es doch schon der Autor nicht tut.

Als würden sich Jacob und Julia nicht ohnedies ständig selbst entblößen, werden sie uns zudem noch in auktorialen Kommentaren ausgedeutet und mit manierierten Metaphern und Vergleichen behängt, sodass sich die beiden auf einmal „mit zig emotionalen Minenfeldern konfrontiert“ sehen und „auf den Zehenspitzen ihres Herzens durch die Stunden und Zimmer tapsen“.

Im Klischee erstarrt

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Jacob und Julia erfüllen das Klischee nervtötender Eltern so vollständig, dass ihr ebenso unglücklicher wie altkluger 13-jähriger Sohn Sam stets gegen sie recht behält, obwohl seine Eloquenz vollkommen unglaubwürdig ist. Und wenn sogar der jüngere Max dem Vater ein „fick dich!“ entgegenknurrt, dann ist das zwar ein Anglizismus, aber man kann den Buben gut verstehen.

Jonathan Safran Foer: „Hier bin ich.“ Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 688 S., 26 €.

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