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Literatur Denkmal-Skandal

Der Antisemitismus greift in Ungarn immer mehr um sich

Szent István Park. Statue of György Lukács. - Budapest District XIII. Erforderliche Verlinkung der Lizenzangabe CC BY-SA 3.0 auf die Webseite https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en Szent István Park. Statue of György Lukács. - Budapest District XIII. Erforderliche Verlinkung der Lizenzangabe CC BY-SA 3.0 auf die Webseite https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
1985 aufgestellt, jetzt soll sie entfernt werden: Die Statue in Erinnerung an den ungarischen Philosophen und Kommunisten György Lukácz
Quelle: Globetrotter19 / Wikipedia / CC BY-SA 3.0
In Budapest soll ein Denkmal für Georg Lukács durch eine Statue des Heiligen Stephan ersetzt werden. Was marginal scheint, zeigt noch einmal deutlich, wes Geistes Kind das Orbán-Regime ist.

Einen passenderen Ort hätte sich Ungarns nationalistische Symbolpolitik kaum aussuchen können. Der Szent-István Park liegt am Ufer der Donau, wo die Pfeilkreuzler in den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs jüdische Bewohner Budapests in Massenerschießungen ermordet und in den Fluss geworfen haben. Er ist nach dem Landesgründer, dem Heiligen Stefan, benannt, und zum Inventar des Parks gehört auch die Statue eines Mannes, dessen Ideen das europäische Geistesleben der vergangenen hundert Jahre mitgeprägt haben: György Lukács.

Die 1985 aufgestellte Figur zeigt den Philosophen hager und wie nicht von dieser Welt. Dass sein Ebenbild jetzt ganz aus dem öffentlichen Raum verschwinden soll, dafür sorgen Ungarns rechte Recken. Ein Stadtrat der ultranationalen und antisemitischen Jobbik-Partei hat den Antrag eingebracht, das Denkmal zu entfernen und durch eine Statue des Heiligen Stefan zu ersetzen.

Mit nur drei Gegenstimmen wurde der Vorschlag vom Stadtparlament angenommen, und damit schrumpft das staatsoffizielle Geistesleben weiter in Richtung heimattreuer und antisemitisch gefärbter Konfektion. Als gäbe es in Budapest und überhaupt in Ungarn nicht genug steinerne Sankt Stephans, als wäre einer wie György Lukács daneben nicht zu ertragen.

Zensur, nicht anti-marxistisch, sondern antisemitisch

Lukács, der Jude und Marxist, der Querdenker mit internationaler Reputation. Seit 1971 tot und der ungarischen Politik noch immer nicht gestorben genug. Im Vorjahr hat man das in der ehemaligen Wohnung des Philosophen untergebrachte Lukács-Archiv geschlossen, und damit großartiges Material zur europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts praktisch unzugänglich gemacht. Es ist eine Zensur, die ihre Motive gerne mit der Behauptung verschleiert, dass mit den geistigen Parteigängern des Marxismus aufgeräumt werden muss.

In Wahrheit aber ist sie nichts anderes als hilflos engstirnige Barbarei gegen intellektuelle Eliten, wie gerade der Fall Lukács beweist. Und in Wahrheit geht es wohl auch nicht um den Kommunisten György Lukács, sondern um seine jüdische Herkunft. Und das ist das eigentlich Bedrohliche in diesem Europa des Jahres 2017: dass mit diesem Thema auf allen ungarischen Entscheidungsebenen Politik gemacht werden kann.

Ungarns geistiges Erbe soll „gesäubert“ werden

Der Philosoph war ein Unbequemer, so undogmatisch, dass er für die kommunistischen Kader kaum zu gebrauchen war, und deshalb so gefährlich, weil sein politisches Charisma durchaus Wirkung hatte. Den Vertretern der reinen Lehre war György Lukács immer ein unsicherer Kantonist, oft genug war er im Irrtum und ebenso oft stand er auf der richtigen Seite. Beim Ungarn-Aufstand 1956 gehörte er zur intellektuellen Speerspitze, die die Demokratisierung des Landes vorantreiben wollte.

Wie weit die politisch induzierte Säuberung von Ungarns geistigem Erbe geht, zeigt sich auch darin, dass die Lukács-Schülerin und Fidesz-Kritikerin Ágnes Heller ebenfalls unterm dem Bannfluch der autokratischen Regierung steht. Die 87-jährige Philosophin gibt nicht auf, und es ist ein Kampf mit ungleichen Waffen. In ihrer Jugend wurde sie während der Pogrome von den Pfeilkreuzlern selbst durch jenen Park getrieben, aus dem das Lukács-Denkmal jetzt entfernt werden soll.

Nie vergisst der an die deutschen Dreißigerjahre erinnernde Antisemitismus von Ungarns Rechtspopulisten, die jüdische Herkunft von György Lukács zu erwähnen, und gleichzeitig gibt es, im Ton dazu passend, Versuche historische Judenfeindlichkeit zu rehabilitieren.

Antisemiten werden Denkmäler errichtet

Prominentestes Beispiel: In der Stadt Székesfehérvar wurde vor anderthalb Jahren beschlossen, ein Denkmal für den antisemitischen Vordenker und Politiker Bálint Homán zu errichten, der in den Vierzigerjahren zum Horthy-Regime gehörte und wesentlichen Anteil an den Deportationen ungarischer Juden hatte. Erst nach langen und auch international immer heftiger werdenden Protesten wurde die Sache abgeblasen.

Die Versuche, das ungarische Geschichtsbild neu zu kanonisieren, werden unter dem wohl auch bei der nächsten Wahl 2018 antretenden Viktor Orbán nicht abreißen. Und wenn dieser Kampf um Denkmäler mitten in Europa eine Marschrichtung markiert, dann ist man gewarnt.

Schlag gegen die Pressefreiheit

Die ungarische Oppositionszeitung "Nepszabadság" stellt ihr Erscheinen ein. Sie war eine wichtige Stimme gegen Premier Orban, der Medien oft für seine Zwecke einsetzt: Zuletzt vor dem Referendum zur EU-Flüchtlingsquote.

Quelle: Die Welt

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