Um Juan Goytisolo, der am 5. Januar 1931 in Barcelona zur Welt kam, ist es seit Langem still geworden. Aber in seiner großen Zeit galt er als Spaniens Antwort auf Jean Genet. Mit dem französischen Skandalautor teilte er den Hass auf das kalte Herz der Bürgerlichkeit, zumal einer solchen, die unter Franco das Stadium des Vereistseins erreicht zu haben schien.
Mit Jean Genet hatte der kastilisches Spanisch schreibende Katalane aber auch die Verklärung des arabischen Mannes gemeinsam, den beide, Genet wie Goytisolo, zum edlen Wilden stilisierten. Mit dem bezeichnenden Unterschied, dass Juan Goytisolo nicht die Palästinenser toll fand, sondern jene Nordafrikaner, die man auf Französisch „maghrebins“ (Maghrebiner) nennt.
Damit stand der zeitweilige Wahlpariser, der sich vor seinem schriftstellerischen Durchbruch als Lektor im wichtigsten französischen Literaturverlag, bei Gallimard, verdingte, in einer langen literarischen Tradition: Von Oscar Wilde, der dann André Gide zum schwulen Coming-out in Nordafrika ermunterte, reicht die erotische Leuchtkraft vor allem des marokkanischen Mannes bekanntlich bis hin zu Paul Bowles und den Beatniks der Sechzigerjahre.
Als Projizieren noch geholfen hat
Was hätten diese Autoren wohl gesagt, wenn sie noch erlebt hätten, wie sich die einst gegenüber den Triebwünschen der Homosexuellen so aufgeschlossenen Nordafrikaner im Zuge der Reislamisierung ihrer Region oft in rabiate Homophobe verwandelten? Mit ihrer Homophobie und Frauenverachtung in letzter Zeit sogar in Westeuropa Schlagzeilen machen?
Sie brauchten es nicht mehr zu erleben, sie mussten die Zeiten, in denen das Projizieren noch geholfen hat, publizistisch nicht zu Grabe tragen. Goytisolo wiederum, der die mentalen Veränderungen registriert haben dürfte, hat gleichfalls nichts dazu gesagt oder geschrieben. Er ist seit Jahren literarisch verstummt. Jedoch den Träumen, Obsessionen, Fantasien seines Lebens ist er treu geblieben.
Auch nach der Aufhebung des Publikationsverbots in Spanien gegen ihn, auch nach der Auszeichnung mit dem renommierten Cervantespreis blieb er seiner Wahlheimat Marokko treu. Dort, genauer gesagt, in der alten Königsstadt Marrakesch, ist er nun am Pfingstsonntag im Alter von 86 Jahren gestorben. Und beigesetzt wird er, seinem Wunsch folgend, auf jenem spanischen Friedhof in Nordmarokko, auf dem auch Jean Genet seine letzte Ruhestätte fand.
Ein Herz für Minderheiten
Wenngleich die Homosexualität vor allem in seinen beiden autobiografischen Büchern „Jagdverbot“ und „Die Häutung der Schlange“ (1994/1995) eine zentrale Rolle spielt, sah sich Goytisolo doch in allererster Linie als „engagierten“ Schriftsteller. Er mischte sich in die politischen Debatten seiner Zeit und setzte sich für Minderheiten ein (während des Jugoslawienkrieges zum Beispiel für den Überlebenskampf der bosnischen Moslems von Sarajewo).
Literarisch steht sein Werk klar im Zeichen einer experimentellen, teilweise hermetischen Moderne. Seine Anfänge in den Sechzigerjahren zeigen deutliche Einflüsse des damals in Frankreich angesagten Nouveau Roman. Später integrierte er weit gespannte essayistische Partien in seine groß angelegten Romane, die sich temperamentvoll und nicht ohne Witz und Ironie an den in seinen Augen verhängnisvollen Traditionen Spaniens, vor allem der katholischen Kirche dort, abarbeiteten.
Mit den Jahren wurde er für seine ursprünglichen Landsleute eine Instanz. Lange galt er als Kandidat für den Nobelpreis. Seine Rolle glich schließlich der, die Grass in Deutschland innehatte.