Wer am 11.11. Geburtstag hat und dazu noch in Köln am Rhein, wer also „jedäuf met 4711“ (getauft mit 4711) wurde, dessen Horoskop muss man nicht mehr stellen: Als Mann kann das höchste Ziel im Leben nur sein, Karnevalsprinz zu werden. Als Frau muss es das Funkenmariechen sein. Alles darunter kann in die neue Kategorie total losers sortiert werden, die im diesjährigen Karneval äußerst beliebt ist: Trump-Doubles, wohin man auch schaut.
Doch brennender Ehrgeiz und Wettbewerbsdenken spielen in der „Session“ schon lange eine viel größere Rolle, als es der Mythos vom dauerfröhlichen Feiervolk will. Eine Karnevalskarriere ist hammerharte Arbeit und irrer Konkurrenzdruck, der an jedem Aschermittwoch immer schon für das nächste Jahr beginnt. Es geht um Ruhm und Ehre, aber auch ums Geschäft. Wer bis ins Fernsehen kommt, hat es geschafft.
Karneval als Leistungssport
Dieser Kölner „Tatort“ widmet sich dem brutalen Leistungssport namens „Tanzmariechen“, in dem man sich selbst bei Ermüdungsfußbruch mit Schmerz- und Aufputschmitteln auf den Beinen hält. Eine, die es nicht mehr ausgehalten hat, springt gleich zu Beginn von der Südbrücke. An ihr haben sich alle versündigt: die neidischen Konkurrentinnen, die knallharte Trainerin, der gierige, klüngelnde, von Herbert Knaup routiniert aalglatt gespielte Vereinspräsident der „Jecke Aape“ (der närrischen Affen).
Und nicht zuletzt die ebenfalls bis zur Verzweiflung jecken Eltern, die ihrer Tochter Glanzleistungen abverlangten und nun, nach deren Tod, als spezielle Form der Trauerarbeit auch den offensichtlich total unbegabten Sohn zum Büttenreden zwingen.
Eine Doku als Vorbild
Vor drei Jahren hat Claus Wischmann den großartigen Dokumentarfilm „Wir sind positiv bekloppt“ gemacht, der hier deutlich erkennbar als Vorbild diente. Die tragische Geschichte des untalentierten Nachwuchs-Jecken findet sich dort ebenso wie der Drill der Tänzerinnen, der Druck der Vorauswahlen für Auftritte auf großen Bühnen.
Was dort in seiner irritierenden Ambivalenz gezeigt wurde, als Heuchelei von Frohsinn ebenso wie als lebenslange Sinngebung, das wird im „Tatort“ zum Motiv von Mord, Mobbing und Totschlag.
Das Duo Ballauf und Schenk ermittelt sich tapfer durch einen ganz und gar unlustigen Fall, in dem es am Ende um Schuldgefühle und unverarbeitete Trauer geht. Das muss man erst mal hinkriegen, zumal als WDR: einen total ernsten, deprimierenden Film ausgerechnet im rheinischen Karnevalistenmilieu zu drehen. Aber wie Carolin Kebekus in ihrer grandiosen Adele-Parodie „Helau“ singt: „Fasching ist im anderen Saal.“