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Pop Simple Minds

„Wir alle waren zu lange von uns selbst besessen“

Redakteur Titelthema Welt am Sonntag
Simple Minds frontman Jim Kerr is seen during a press conference in Prague, Czech Republic, on February 10, 2014. (CTK Photo/Katerina Sulova) [ Rechtehinweis: (c) dpa ] Simple Minds frontman Jim Kerr is seen during a press conference in Prague, Czech Republic, on February 10, 2014. (CTK Photo/Katerina Sulova) [ Rechtehinweis: (c) dpa ]
"Klingt heute noch ziemlich schockierend, nicht wahr?" Jim Kerr
Quelle: picture alliance / dpa
Früher hat Jim Kerr mit den Simple Minds Stadien gefüllt, heute spielt er in Emden und muss schon mal googeln, ob andere auch ihren Text vergessen. Ein Gespräch über die Vorteile des Niedergangs.

Jim Kerr sitzt in seinem Frankfurter Hotel und stochert im Salat. In zwei Stunden wird er mit seinem Gitarristen Charlie Burchill ein paar Hits seiner Band Simple Minds mit Orchesterbegleitung vor 10.000 Zuschauern in der Festhalle spielen. Night Of The Proms heißt das Klassik-Rock-Happening. Aber, er sagt es offen, das sei eine Art Gegenfinanzierung für die künstlerisch anspruchsvollere Akustik-Tour (Termine: Berlin, 13. April; Hamburg 14. April; Baden-Baden; 17. April). Die führt ihn mit erweitertem Ensemble im Frühjahr bewusst durch kleinere Hallen und wird die Produktionskosten allein durch die Ticketverkäufe nicht ohne Weiteres einspielen. Ein Liebhaberprojekt. Der 57-Jährige hat viel zu tun, hat für sich und seine Band viele Nischen entdeckt – jenseits der ganz großen Auftritte, die ihn in den Neunzigern in die Stadien führten, wo er mit Hits wie „Alive And Kicking“ oder „Don’t You Forget About Me“ die Massen begeisterte. An solchen Orten schaut er sich heute nur noch Fußballspiele an. Man hat den Eindruck, dass ihm das besser gefällt.

Die Welt: Es gibt eine bizarre Anekdote von Ihrem ersten Auftritt überhaupt: Sie sollen in Glasgow im Keller eines Jugendzentrums „Heroin“ und andere Songs von Velvet Underground gespielt haben – auf einer Weihnachtsfeier für Kinder. Die sollen schreiend davongelaufen sein. Irre Geschichte, stimmt sie auch?

Jim Kerr: Ja. Klingt heute noch ziemlich schockierend, nicht wahr? Wir haben Kinder zum Weinen gebracht. Ich selbst war erst 15. Dem Vater unseres damaligen Schlagzeugers Brian McGee gehörte das Gebäude. Er hatte uns in einem der Keller proben lassen. Dann sagte er eines Tages, er könne uns einen Auftritt besorgen – ohne uns zu sagen, dass es eine Kinder-Party war. Er hat das gut gemeint. Unsere Band hieß damals Biba-Rom, keine Ahnung mehr, wie wir auf diesen Namen gekommen sind. Simple-Minds-Gitarrist Charlie Burchill war damals auch schon dabei. Jedenfalls legten wir an diesem Samstagnachmittag los – in Bomber-Jacken und mit Fedora-Hüten. Wir machten einen Höllenlärm. Die armen Kinder. Ich kann jetzt leider nicht behaupten, dass wir Punks gewesen wären und bewusst provozieren wollten. Wir klangen einfach nur furchtbar.

Die Welt: Aus diesem furchtbaren Getöse gingen im April 1977 die Simple-Minds-Vorläufer Johnny and the Self Abusers hervor. Planen Sie eine Würdigung zum 40-jährigen Bestehen?

Kerr: Wir haben darüber nachgedacht. Im Grunde haben wir zwar 1977 den Grundstein dafür gelegt, was die Simple Minds werden sollten, hätten jetzt also unser 40-Jähriges feiern können. Aber den ersten offiziellen Gig als Simple Minds hatten wir erst im Januar 1978, das erste Album erschien 1979. Wir haben uns jetzt auf das Jahr 2018 geeinigt, an dem die Band offiziell 40 werden soll.

(L-R) Charlie Burchill, Derek Forbes, Jim Kerr, Mick Macneil and Brian McGee of Simple Minds pose for a group portrait in London in 1980. (Photo by Virginia Turbett/Redferns)
Die Simple Minds anno 1980: Charlie Burchill, Derek Forbes, Jim Kerr, Mick Macneil and Brian McGee (v.l.n.r.)
Quelle: Redferns

Die Welt: Ihre Freunde von U2 haben ihr vierzigstes Bestehen relativ unspektakulär mit einem satirischen Facebook-Clip begangen: Die Band sitzt in einem Umkleideraum, an der Decke hängen ein paar Girlanden, einer bläst lustlos in eine Tröte, ein anderer lässt einen Luftballon zerplatzen – sieht so aus, als hätten sie zu einer Party eingeladen und keiner wäre gekommen.

Kerr: Ja, sehr komisch. Ich kann die Selbstironie nachvollziehen. Heute ist es zu einfach geworden, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Es gibt ständig neue runde Geburtstage von Alben, Songs oder was auch immer, die mit Special Editions gefeiert werden. Aber gerade weil das so ist, würde es sich für unsere Fans seltsam anfühlen, wenn wir ausgerechnet zu unserem 40. Bestehen gar nichts machten. Wir planen eine Geburtstagsparty in Glasgow, wir möchten die Stadt, möchten Schottland mit einbeziehen. Mehr kann ich noch nicht sagen. Wir haben gerade ein neues Album fertig aufgenommen, werden das in dem Zeitraum auch veröffentlichen, wieder auf Tournee gehen. Mal sehen, wie sich das alles zusammenfügt.

Die Welt: Zuletzt haben Sie ein Album mit akustischen Versionen Ihrer bekanntesten und auch einiger in Vergessenheit geratener Songs veröffentlicht, mit dem Sie jetzt auf Tournee gehen. So gute Besprechungen wie für dieses Werk haben Sie seit Jahren nicht mehr bekommen. Die meisten Kritiker fanden: Ohne die Bombast-Instrumentierungen würden Ihre Songs endlich richtig gut klingen. Können Sie sich über dieses vergiftete Lob freuen?

Kerr: Was glauben Sie denn? Klar. Wir hatten unseren alten Song „The American“ schon auf unserer letzten Tour nur mit akustischen Instrumenten live gespielt. Das kam erstaunlich gut an. Nach einem reinen Akustik-Konzert in der Schweiz entschieden wir spontan, ein ganzes Album mit solchen Arrangements aufzunehmen. Wir wollten dieses Unplugged-Stigma vermeiden. Sie wissen schon: zwei Männer auf einem Hocker, akustische Gitarren, Kerzen – Langeweile. Wir wollten reduzierte Arrangements mit viel Energie. Wir wollten Drama, Musik, zu der man tanzen kann.

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Die Welt: Ihre Wucht-Hymne „Waterfront“ klingt jetzt wie eine Mischung aus Lou Reeds „Walk On The Wild Side“ und einem Folk-Song.

Kerr: Wir haben unseren Sound entschlackt, unsere keltischen Wurzeln freigelegt. Das Original ist ja bombastisch, diese Version klingt dagegen fast wie ein Gedicht. Viele unserer neu arrangierten Lieder erinnern mich an die akustischen Led-Zeppelin-Songs, die alle eine unglaubliche Kraft haben. Für mich ist es übrigens das beste Gitarrenalbum, dass unser Gitarrist Charlie Burchill je gemacht hat. Endlich hört man mal wieder, wie grandios er Gitarre spielt und sein Instrument nicht mit Effekten verfremdet.

Die Welt: Ende der Neunziger und in den Nullerjahren haben Sie ein belangloses Album nach dem anderen veröffentlicht. Und als Sie mit den letzten Werken „Graffiti Soul“ und „Big Music“ zu alter Kraft zurückfanden, hatte sich das Geschäftsmodell der Musikbranche so fundamental geändert, dass ein überzeugendes Album allein kein Comeback mehr ermöglichte. Was treibt Sie heute eigentlich noch an, weiter Musik zu machen?

Kerr: Unsere Band war damals fast tot. Wir haben uns in den Nullerjahren nur deshalb am Leben gehalten, weil wir überall dort auftraten, wo man uns sehen wollte. Nur um zu spielen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Heute bin ich sogar stolz darauf, wieder in all diesen kleinen Städten gespielt zu haben, nachdem wir in den Jahren zuvor immer in den großen Hallen und auf Open Airs aufgetreten waren.

Portrait of Scottish band Simple Minds, Amsterdam, 31 October 2014. Singer Jim Kerr (left) and guitarist Charlie Burchill. (Photo by Paul Bergen/Redferns)
Die Simple Minds jetzt: 2014. Sänger Jim Kerr (l.) and Gitarrist Charlie Burchill
Quelle: Redferns

Die Welt: Nach Wembley und Hockenheimring plötzlich in der Emdener Nordseehalle – das ist schon ein Unterschied, oder?

Kerr: Glauben Sie mir: Immer wenn ich an einem Stadion vorbeifuhr, das wir früher ausverkauft hatten, auf dem Weg in einen Klub, der an dem Abend halb leer war, habe ich sehr viel über mich selbst herausgefunden.

Die Welt: Was denn?

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Kerr: Die entscheidende Frage ist: Hast Du die Kraft, das zu verarbeiten, ohne verbittert zu sein. Bringt doch nichts zu jammern: Ich war mal so groß, dann haben sie mir alles weggenommen. Es war wichtig, dass wir immer weiter gespielt haben, weiter Songs aufgenommen haben. So haben wir ganz langsam wieder Boden unter die Füße gekommen. Das Durchhalten hat sich ausgezahlt: Wir geben heute mehr Konzerte im Jahr als in unserer Hochphase. Während alles andere im Musikgeschäft kollabiert ist, funktionieren die Tourneen immer noch. Charlie und ich hatten darüber hinaus Glück, dass wir mit unserer finanziellen Investitionen außerhalb der Musikbranche wahrscheinlich mehr Geld verdienen als mit der Musik.

Die Welt: Warum machen Sie sich dann noch die Mühe, Alben aufzunehmen, wenn kaum noch Menschen Alben kaufen? Sie könnten doch wie die Stones mit Ihren Hits bis zum Abwinken auf Tournee gehen.

Kerr: Wir machen das, weil es uns erfüllt, weil wir seit wir 15 sind, Musik machen – und weil immer noch Menschen kommen, die uns hören und sehen wollen. Und wir wollen nicht als Museumsstück auf Tour gehen. Eine Album aufzunehmen ist immer eine besondere kreative Anstrengung. Sie gibt uns das Gefühl, lebendig zu sein – ganz unabhängig davon, ob es sich verkauft oder nicht.

Die Welt: Ich habe kürzlich Ihren Landsmann Ian Anderson von Jethro Tull noch mal live gesehen. Das Konzert war ausverkauft, er rannte wie immer über die Bühne, spielte auf einem Bein Flöte – nur seine Stimme war nahezu nicht mehr vorhanden.

Kerr: Oh je, so schlimm? Kurios, Charlie und ich haben gestern „Aqualung“ im Tournebus gesungen. Wie alt ist Anderson jetzt?

Die Welt: 69. Haben Sie für sich mal durchdacht, was passieren müsste, damit Sie aufhören mit den Konzerten?

Kerr: Das geht mir oft durch den Kopf. Vor allem, wenn ich selbst zu Konzerten meiner frühen Idole gehe. Ich habe kürzlich John Cale gesehen, dessen Musik ich liebe. Er hatte keine Präsenz mehr auf der Bühne. Bei Rod Stewart ist es dasselbe. Trotzdem ist es etwas Besonderes, wenn Sie sich diese Ikonen nach wie vor ansehen, auch wenn sie nicht mehr diese Kraft haben. Warum? Weil sie authentisch sind.

Die Welt: Sie meinen: authentisch auch im Scheitern, im Niedergang?

Kerr: Exakt. Ich erzähle Ihnen mal eine lustige Geschichte. Kürzlich habe ich tatsächlich den Text von zwei, drei Simple-Minds-Liedern vergessen. Nur ein paar Zeilen. Das hatte mich schon beunruhigt. „Lässt meine Erinnerung nach?“, habe ich mich gefragt. Ich hatte diese Lieder schließlich tausend Mal gesungen. Als ich nach dem Auftritt ins Hotel ging, fühlte ich mich nicht gut. Ich googelte auf meinem Laptop: „Hat Springsteen jemals seine Songzeilen vergessen?“ – und habe Tausende von Einträgen gefunden, die das dokumentierten. Bei Elton John und vielen anderen war es das gleiche. Es passiert jedem. Das hat mich erst mal beruhigt.

Die Welt: Das einem die eigene Vergangenheit auf der Bühne entgleitet, macht Ihnen keine Angst?

Kerr: Nein. So was gehört zum Leben dazu. Ich habe Lou Reed zwei Jahre vor seinem Tod noch einmal auf der Bühne gesehen. In Lyon. Ich kam gerade an, als sie ihn auf die Bühne geleiteten. Ich sah, wie jemand ihn am Arm hielt, um sicherzustellen, dass er nicht über die Monitorboxen stolperte. Er wirkte fragil. Es kam mir dennoch so vor, als würde ich Picasso in seiner Spätphase bei der Arbeit zusehen, einem der Meister. Bei Robert Plant war es ähnlich, ich habe ihn im Amphitheater in Taormina, auf Sizilien, gesehen. Er war mal ein Gott des Rock. Jetzt trifft er nicht mehr die hohen Töne. Wen kümmert’s! Er ist immer noch authentisch. Davon mal abgesehen, wird man sich mit der Zeit selbst an solche Giganten nicht mehr erinnern. Viele Kids wissen heute schon nicht mehr, wer die Beatles oder die Rolling Stones waren. So ist das. Musiker meines Alters und auch aus früheren Generationen – wir alle waren einfach zu lange von uns selbst besessen, von unserer eigenen Epoche.

Die Welt: Es gibt Kollegen, die gehen selbst mit körperlichen Gebrechen noch auf die Bühne, andere wie David Bowie oder Leonard Cohen schreiben Songs über den eigenen, unmittelbar bevorstehenden Tod. Beide starben kurz nach der Veröffentlichung ihrer letzten Alben. Ist das ein Ende, das Sie sich wünschen?

Kerr: Ich denke seit Längerem darüber nach. Ich wünsche mir, dass, wenn wir mal aufhören, wir es mit einem Werk machen, das Aussagekraft und Energie hat. Ich möchte nicht, dass wir wie betrunkene Boxer enden, die im Alter in den Ring torkeln und nicht mehr wissen, was sie machen sollen. Im Moment haben wir einen guten Lauf, wir spielen wieder vor vollen Sälen, die Zuschauer jubeln, bevor wir auch nur die erste Note gespielt haben. Das ist ein unglaubliches Privileg, das ich mehr denn je zu schätzen weiß. Dass jemand wie David Bowie mal sterben würde, war lange jenseits meiner Vorstellungskraft. Ich hatte sein Album „Black Star“ an einem Freitag gekauft, hörte es am Wochenende. Am Montagmorgen war ich in Italien, als Charlie Burchill mich anrief, er sagte nur: „Bowie ist tot.“ Ich war schockiert. Wir redeten dann zwei Stunden lang am Telefon. So lange haben wir nicht mal miteinander gesprochen, als unsere Eltern gestorben waren. Aber, wenn ich über so etwas wie mein Vermächtnis rede, denke ich heute nicht unbedingt an meine Musik.

Die Welt: Woran dann?

Kerr: Ich bin mit dieser Band zwar eng verwachsen, aber ich habe auch ein Leben außerhalb der Musik. Ich habe zwei Kinder und bereits zwei Enkel. Wenn ich Pläne für die Zukunft mache, denke ich zuerst an meine Enkel. Ich habe kürzlich ein Haus für sie gekauft, in der Nähe von Loch Earn in den schottischen Highlands, wo die Simple Minds vor mehr als 30 Jahren mal ein Studio besaßen. Es war immer ein Sehnsuchtsort für mich. Ich gehe dort wandern, wann immer ich kann. In zehn Jahren, wenn ich es mit den Simple Minds vielleicht langsamer angehen lassen werde, möchte ich selbst nach Loch Earn ziehen. Nach dem Tod meiner Mutter war meine Heimat Schottland für mich, aber auch für meine Kinder und meine Enkel auf einmal wieder sehr wichtig geworden - aus welchen Gründen auch immer. Deswegen habe ich dort ein Haus gekauft. Es ist so, als hätte ich einen Baum für meine Enkel gepflanzt.

SYDNEY, AUSTRALIA - FEBRUARY 09: Jim Kerr of Simple Minds performs at Hordern Pavilion on February 9, 2017 in Sydney, Australia. (Photo by Mark Metcalfe/WireImage)
Bühnenarbeiter; Jim Kerr im Februar 2017 in Sydney
Quelle: WireImage/Getty Images

Die Welt: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat jetzt einen Antrag auf ein neues Unabhängigkeitsreferendum eingereicht. Wie stehen Sie dazu?

Kerr: Als 2014 das erste Referendum für eine Unabhängigkeit abgehalten wurde, war ich nicht dafür. Zum einen, weil meine Kinder Engländer sind, sie leben in England und lieben Schottland. Ich wollte nichts unterstützen, was diese Bindung behindert hätte. Zum anderen sprachen alle wirtschaftlichen Zahlen gegen eine Unabhängigkeit. Heute sehe ich das anders. Der Brexit war ein Schritt zu viel in die falsche Richtung. Ich lasse mir nicht meine europäische Identität nehmen. Nicht mit mir. Daher unterstütze ich ein zweites Referendum. Die größte Errungenschaft in meinem Leben war immer, dass ich schon als junger Mensch frei durch Europa reisen konnte. Per Anhalter, mit dem Zug. Später kamen weitere Freiheiten dazu, du konntest in anderen Ländern leben, arbeiten, es sind fantastische Freundschaften entstanden. Ich wohnte eine Zeit lang in Frankreich, seit Langem auch in Italien. Europa ist zusammengewachsen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so brüchig werden könnte, wie es jetzt der Fall zu sein scheint. Ich bin für jeden, der gegen den Brexit ist.

Die Welt: Während des ersten Referendums wurden die schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen von vielen noch als nationalistischer Alleingang abgetan. Inzwischen gilt Sturgeon als Verfechterin der europäischen Idee, die den Bund mit der EU durch eine Unabhängigkeit von Großbritannien bewahren will.

Kerr: Sturgeon ist eine Europäerin. Ich fand es großartig, dass sie nur einen Tag nach dem Brexit-Beschluss, den in Schottland lebenden Einwanderern sagte: „Ihr müsst euch bei uns keine Sorgen machen.“ Sie hat Klasse, Prinzipien. Und: Sie ist anständig. Ich bin nicht blauäugig: An den Wirtschaftszahlen, die 2014 gegen eine Unabhängigkeit sprachen, hat sich nichts geändert. Unser größter Handelspartner ist England. Idealismus hat seinen Preis. Aber ohne Idealismus bist du nichts. Die Brexit-Entscheidung hat bislang nur komplettes Chaos hervorgerufen. Niemand vermag verlässlich vorherzusagen, wie sich das konkret gestalten wird. Nur eines ist klar: Es wird nicht so sein, dass jemand auf den Knopf drückt – und dann sind die Briten raus. Das wird sich noch lange hinziehen. Derzeit reihen sich so viele Ereignisse aneinander, die ich bis vor Kurzem nie für möglich gehalten hätte: die Bedrohung der EU, der Brexit, die Trump-Wahl, Aufstieg der Populisten. Zum ersten Mal in meinem Leben stehe ich ziemlich fassungslos davor.

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