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Hamburg Christianeum

Dantes „Göttliche Komödie“ ist hier der größte Schatz

Politischer Korrespondent
Unschätzbarer Wert: Der „Codex Altonensis“, eine Handschrift der „Göttlichen Komodie“ des italienischen Dichters Dante wird in der Bibliothek im Christianeum verwahrt Unschätzbarer Wert: Der „Codex Altonensis“, eine Handschrift der „Göttlichen Komodie“ des italienischen Dichters Dante wird in der Bibliothek im Christianeum verwahrt
Unschätzbarer Wert: Der „Codex Altonensis“
Quelle: Daniel Reinhardt
Die historische Bibliothek des Christianeums in Hamburg feiert Wiedereröffnung. Sie soll eine Mischung aus Pilgerstätte, Zentrum des Schullebens und Vorbereitungskurs für den Uni-Alltag werden.

Die Fassade des schmalen Raums schimmert golden und es wäre wahrscheinlich auch keine andere Farbe in Frage gekommen für diesen Raum, den sie hier Tresor nennen, der aber eigentlich eine Schatzkammer ist. Wie es sich für eine gute Schatzkammer gehört, liegt sie verborgen, dort, wo sie niemand vermuten würde, in den Kellerkatakomben des Gymnasiums Christianeum in Othmarschen, in diesem zutiefst funktionalistischen Bau des dänischen Architekten-Gurus Arne Jacobsen aus den 1970er-Jahren. Inmitten dieser kargen, geometischen Architektur lagert also die größte deutsche Gymnasialbibliothek mit ihren opulenten, barocken Werken und Archiven. Denn hier ruhen sie, die gebundenen Schätze, manche altersfleckig, andere erstaunlich schimmernd, gehegt und konserviert bei Temperaturen unter 20 Grad und weniger als 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Sechs Regale, knapp zehn Meter lang, etwa vier Meter breit, Buchrücken an Buchrücken.

27.000 Bände gibt es hier und sie alle können nun wieder der Öffentlichkeit präsentiert werden, nach einer aufwändigen Renovierung wird die historische Bibliothek des Christianeums am Montag wiedereröffnet. Wenn alles so läuft, wie sie es sich hier ausmalen, soll die Schatzkammer bald eine Mischung aus kunsthistorischer Pilgerstätte, Zentrum des Schullebens und Vorbereitungskurs für den Uni-Alltag werden.

Der „Codex Altonensis“ verströmt einladende Muffigkeit

Natürlich werden viele Besucher vor allem wegen der einen Schrift kommen: Der „Codex Altonensis“, eine Handschrift der „Göttlichen Komödie“ des italienischen Dichters Dante, verströmt eine einladende Muffigkeit, die Pergamentblätter aus Ziegenleder sind noch erstaunlich geschmeidig. Entstanden ist die Abschrift der wohl bedeutendsten Dichtung der italienischen Literatur ab 1360 in Norditalien, dem Christianeum gehört sie seit 1768 und trotzdem schillern einem die vor mehr als 600 Jahren aufgetragenen Farben immer noch entgegen.

Das Werk ruht vor Kunsthistorikerin Katja Conradi auf Schaumstoffstützen, sonst lagert es in einem Panzerschrank, abgeschirmt vor der Welt, geschützt vor klebrigen Fingerabdrücken. Conradi, die außerdem Vorsitzende des Elternrats und des Fördervereins ist, hat weiße Schutzhandschuhe übergestreift, sie blättert durch die Seiten, spricht über Dante und Vergil und das Tor zur Hölle, schwärmt von den eindrucksvollen Illustrationen; Heike Müller, die wissenschaftliche Bibliothekarin, spricht schon über die Führungen durch ihr neues Reich.

Neben den beiden steht die Schulleiterin des Christianeums Diana Amann, für sie soll die Bibliothek bald das Zentrum der Schule sein, ein Ort, an dem Werte und Ideale vermittelt werden, mit Buchdrucken, Inkunabeln und mittelalterlichen Schriften, die zu den Besuchern sprechen. Früher war der geräumige Eingangsraum mit den PC-Arbeitsplätzen und die dahinter liegende Schatzkammer ein schnöder betonlastiger Lagerraum, der Bibliotheksbestand weggesperrt vor den Schülern, nur einigen Forschern vorbehalten. Dann beschloss eine Gruppe von Engagierten, den Schatz zu heben.

Die historische Bibliothek des Christianeums ist die größte deutsche Gymnasialbibliothek
Die historische Bibliothek des Christianeums ist die größte deutsche Gymnasialbibliothek
Quelle: Daniel Reinhardt

Das gesamte Gebäude der denkmalgeschützten Lehranstalt wird seit 2013 saniert, die Fassade- und Innenrenovierung kosten an die 20 Millionen Euro. Eine Gruppe von Eltern faszinierte die Idee, auch die Bibliothek neu zu gestalten, sie gründeten einen Förderverein und gingen auf Sponsorensuche. Die Gruppe um Katja Conradi feilte an detaillierten Anträgen, ließ sich wissenschaftlich beraten und wandte sich dann an die Reemtsma-Stiftung, Mäzen Jan-Philipp Reemtsma ging selbst im Christianeum zur Schule. Das Konzept überzeugte die Verantwortlichen, die Stiftung übernahm einen großen Teil der Sanierung, 2014 kam die Zusage; auch die Warburg-Olearius-Stiftung stiftete Mittel, weitere Eltern und ehemalige Schüler brachten sich ein. Zurückgeben gehört hier dazu, an dieser besonderen Schule an der Elbe.

Gegründet wurde das Lehrinstitut 1738 durch König Christian VI von Dänemark, mit eigener Gerichtsbarkeit und eigenem Siegel (Pflanzen auf einem Hügel unter einer strahlenden Sonne). Über die Jahrhunderte hat sich das Gymnasium seinen altsprachlichen und musischen Schwerpunkt bewahrt. 1973 zieht die Schule nach Othmarschen in den Arne-Jacobsen-Bau. Der einmalige Bücherreichtum beruht auf drei Schenkungen, die Basis legte der Nachlass des Altoaner Theologen Johann Otto Glüsing, die bedeutenste Schenkung gleicht einem geschickten Schachzug aus dem Steuerrecht. Johann Peter Kohl (1698-1778), Professor aus St. Petersburg, setzte sich in Hamburg zur Ruhe, schon bald aber wurmten ihn die hohen Abgaben. Er bot dem dänischen König Christian VII an, dem Gymnasium seine riesige Bibliothek zu vermachen, wenn er ins damals dänische Altona ziehen und lebenslang von Abgaben befreit würde. Der König nahm an, die „Donum Kohlianum“ wurde 1768 Teil des Bestands. Unter den Werken: Dantes „Göttliche Komödie“.

Horoskopforscher meldete bereits Interesse

Für die nun nötige Sanierung übernahmen die Experten im Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig den Bestand für ein Jahr, Schimmel und Gebrauchsspuren haben den Werken zugesetzt, Kerzen Löcher in das Pergament gebrannt. Doch nun sind die Bände wieder da, wuchtige Bucher wie eine Lutherbibel von 1729, das größte Buch im Bestand, ein schwerer Trum mit etwa 2000 Seiten und Lederschnallen, der regelrecht aufgebockt werden muss. Und dann das kleinste Werk, eine nur zeigefingerlange Komposition von Psalmen und Gedichten, eine Herausforderung für jeden Setzer. Frau Müller, die Bibliothekarin, hat auch schon die ersten Anfragen, ein Horoskopforscher interessiert sich brennend für ein kleines Büchlein mit geschecktem Einband. Darin schlummern Horoskope berühmter Menschen, schon wieder ist Luther dabei, Martinus Lutherus, anno 1483, prangt oben auf der Seite, dazu noch einige sehr schwer lesbare Schriftzeichen und geometrische Formen. Auch die Sternenkonstellationen von Papst Paul III. und Albrecht Dürer finden sich in dem Werk.

Nicht nur in der Schatzkammer stehen historische Schätze, auch in einem zweiten Raum lagern Schriften, hier soll ein Arbeitsraum für die Schüler der Oberstufe entstehen. Geht es nach Heike Müller, atmet der Raum bald Universitätsatmosphäre. Die Bände in den Regalen sollen einen Querschnitt durch alle Fachbereiche bieten, von Biologie bis Geschichte: Wenn ein Schüler hier ein Referat zum Thema Kolonialismus vorbereitet, kann er sich im besten Fall eine passende historische Quelle zu den Verwicklungen des Deutschen Reichs in Deutsch-Südwestafrika aus dem Regal greifen. Bevor sie im vergangenen November die Leitung der Bibliothek übernahm, arbeitete Heike Müller an der Universität. Sie sagt, vielen jungen Bachelor-Studenten fehlten heute die nötigen Kenntnisse, wissenschaftlich sauber zu arbeiten. Das möchte sie ändern, mit Vorbereitungskursen, die den Schülern den späteren Einstieg in die Universität erleichtern sollen und mit Quellen, die so auch in der Bibliothek eines Universitäts-Fachbereichs stehen könnten.

Hier herschen Temperaturen unter 20 Grad und weniger als 50 Prozent Luftfeuchtigkeit
Hier herschen Temperaturen unter 20 Grad und weniger als 50 Prozent Luftfeuchtigkeit
Quelle: Daniel Reinhardt
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Hier im Nebenraum stehen immer noch die letzten Kartons, die Fertigstellung der Bibliothek wurde am Ende zur Punktladung. Es brauchte einen Hausmeister, der Computertische besorgte, Eltern, die mit anpackten und Bücher aus Kisten sortierten und Verantwortliche, die Zwölf-Stunden-Schichten schoben. Am Montag dann ist großer Bahnhof, die Bezirksamtsleiterin und der Schulsenator kommen, auch Bürgermeister Olaf Scholz wird es sich nicht nehmen lassen, mit weißen Schutzhandschuhen durch die „Göttliche Komödie“ zu blättern. Die nächsten Ziele sind schon anvisiert: Frau Conradi will Führungen für die Öffentlichkeit anbieten. Frau Müller merkt an, dass bisher nur eine überschaubare Zahl der Bücher eingescannt und in die Datenbanken gewandert ist, ein möglichst großer Teil des Bestands soll möglichst rasch digitalisiert werden. Damit die Öffentlichkeit den dann digitalen Schatz auch in Zukunft bestaunen kann.

Das Christianeum wird nach der Eröffnung in unregelmäßigen Abständen Führungen durch die historische Bibliothek anbieten.

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